Der tragische Tod von Gino Mäder wenige Wochen vor dem heutigen Start der Tour de France 2023 hat die Radsport-Welt schmerzlich daran erinnert, auf welch schmalem Grat sie ihren Sport betreiben. Egan Bernal war es schon vorher schmerzhaft bewusst geworden.
Der Kolumbianer, der 2019 als erster Südamerikaner überhaupt das Gelbe Trikot nach Paris trug, hatte am am 24. Januar 2022 selbst einen schweren Unfall, der ihn zeitweise lähmte und fast das Leben gekostet hätte. Bernal prallte seinerzeit bei einer Trainingsfahrt in Kolumbien gegen einen Bus, der zuvor angehalten hatte, um einen Passagier aussteigen zu lassen.
„Ich hätte sterben können. Ich habe keine Ahnung, wie ich noch am Leben sein kann“, sprach der 26-Jährige zuletzt bei Eurosport über diesen Vorfall, an den er kaum noch Erinnerung hat. Lediglich die Schmerzen sind ihm noch im Gedächtnis. Doch er erinnert sich auch daran, dass er dankbar für diese Schmerzen war. „Ich spürte die Schmerzen, weil ich noch am Leben war. Das ist besser, als nichts zu spüren.“
An Radfahren verschwendete er in der Zeit nach dem Unfall keinen Gedanken. Als die Ärzte ihm mitgeteilt hatten, dass er vielleicht gelähmt bleiben könnte, hoffte er nur noch auf ein normales Leben. Erst, als er auf der Intensivstation wieder seine Beine bewegen konnte, kamen auch wieder Überlegungen an eine Rückkehr in den Radsport auf.
Bernal: „Es gibt ein Leben jenseits des Radsports“
Nach einem Jahr harter Arbeit gelang ihm schließlich sein Comeback. Doch auch, wenn der Körper wieder wie vor dem Unfall war, die Einstellung des Ineos-Grenadiers-Profis zum Radsport im Speziellen und dem Leben im Allgemeinen hatte sich für immer verändert.
„2019 hieß es: Entweder die Tour de France oder nichts. Es bedeutete alles für mich. Es fühlte sich an, als würde die Welt untergehen, wenn ich die Tour nicht gewinne“, beschreibt er heutzutage sein altes Denken: „Aber offensichtlich ist die Realität anders. Es gibt ein Leben jenseits des Radsports.“
Zwar sei der Radsport auch weiterhin ein wichtiger Teil seines Lebens, aber nicht mehr die Nummer eins. „Ich habe eine Familie. Das ist viel wertvoller als jede Tour de France.“
Er habe nicht seinen Siegeswillen verloren, wie er betonte. „Ich will immer noch gewinnen und der Beste sein.“ Doch wisse er nun auch, „dass es egal ist, wenn ich es nicht bin. Ich habe meine Familie, ich habe meinen Hund. Der wartet auf mich glücklich zuhause, egal ob ich gewinne. Es ist ihm egal.“
Dementsprechend motiviert wird der Mann aus Bogota die 21 Etappen der großen Schleife in diesem Jahr angehen. Sollte es am Ende jedoch nicht zum großen Erfolg reichen, wird Bernal trotzdem zufrieden nach Hause gehen, wo seine Familie und sein Hund auf ihn warten.
Er weiß, wie viel mehr das wert ist als jede sportliche Errungenschaft.