Von Tobias Wiltschek

München – Nico Rosberg gegen Lewis Hamilton.

Das Duell um den Weltmeister-Titel geht mit Beginn der zweiten Saisonhälfte in die entscheidende Phase.

Dass einer der beiden Mercedes-Piloten Weltmeiser wird, bezweifelt kaum jemand. Auch Norbert Haug sieht in diesem Jahr keine ernsthafte Konkurrenz mehr für die Silberpfeile.

Der langjährige Motorsportchef von Mercedes stellte sich vor dem Belgien-GP (Freies Training, Fr. ab 10 Uhr LIVE im TV auf SPORT1 und im LIVE-TICKER) für ein Interview mit SPORT1 zur Verfügung und zieht ein Zwischenfazit der bisherigen Saison.

Dabei spricht Haug nicht nur über sein ehemaliges Team, sondern auch über die Probleme von Sebastian Vettel und eine neue Regel.

Im aufstrebenden Valtteri Bottas sieht er ein Symbol für die Faszination Formel 1.

SPORT1: Herr Haug, die erste Saisonhälfte ist vorbei, Mercedes fährt dem ersten Konstrukteurs-Titel entgegen. Was haben die Silberpfeile besser gemacht als die Konkurrenz?

Norbert Haug: Offensichtlich alles. Bessere Antriebseinheit, besseres Chassis, und beide Fahrer müssen sich sicher vor keinem ihrer Konkurrenten verstecken. Sobald die technische Zuverlässigkeit vollständig im Griff ist, sollten die Silberpfeile weiterhin unschlagbar sein. Die beiden Rennen, die in dieser Saison nicht von Mercedes gewonnen wurden, hat einmal das Safety Car und einmal eine technische Unzulänglichkeit entschieden.

SPORT1: In Ungarn sorgte die Anweisung an Lewis Hamilton, Nico Rosberg vorbeizulassen, für große Aufregung. Wie beurteilen Sie die Situation?

Haug: Entspannt. Es ist normal, dass ein Teamkollege den anderen nicht behindert, wenn dieser mit einer anderen Reifenstrategie unterwegs ist und noch einmal in die Box muss. Klar, dass dann das Team die Fahrer entsprechend informiert. Wäre Nico Lewis näher gekommen, wäre er wohl auch vorbeigekommen. Zu dieser Situation kam es nur, weil Lewis nach dem Defekt im Qualifying aus der Boxenstrasse starten musste. Und das wird künftig sicher nicht die Regel sein.

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SPORT1: Red Bull und Sebastian Vettel sind bereits bei den Wintertests weit hinterher gefahren. War deren Rückstand zur Saisonhalbzeit für Sie schon abzusehen?

Haug: Mit Mercedes-Antriebseinheit würde Red Bull und damit auch Sebastian Vettel nach meiner Einschätzung aktuell besser dastehen. Aber das mag sich 2015 ändern.

SPORT1: Vettel selbst hat nach wie vor große Probleme mit den neuen Gegebenheiten in der Formel 1 und hängt als aktueller Weltmeister selbst hinter seinem jungen Teamkollegen Daniel Ricciardo zurück. Wie ist das zu erklären?

Haug: Jeder Rennfahrer muss mal durch ein Tal, auch ein vierfacher Weltmeister. Sebastian hat nach meiner Einschätzung allerdings nichts verlernt und wird auch wieder vor Daniel Ricciardo fahren, der extrem stark ist und große Freude bereitet. Mir und vielen anderen sicherlich mehr als Sebastian. (DATENCENTER: WM-Stand Fahrer).

SPORT1: Wird Vettel in dieser Saison noch einen Grand-Prix-Sieg feiern können, und auf welchem Kurs sind seine Chancen am größten?

Haug: Das weiß keiner. Aber was sein Teamkollege kann, kann Sebastian auch. Und der hat schon zweimal gewonnen, wenn auch dank Safety Car und technischer Silberpfeil-Schwäche. Aber die Siege waren absolut verdient.

SPORT1: Auch Ferrari hinkt den eigenen Erwartungen wieder einmal weit hinterher. Ist der Motor das einzige Problem der Scuderia?

Haug: Das glaube ich nicht.

SPORT1: Neben Ricciardo war Valtteri Bottas in der ersten Saisonhälfte die große positive Überraschung. Was sind seine Stärken, und was trauen Sie ihm in Zukunft noch zu?

Haug: Bottas war schon in der Formel 3 im Rahmen der DTM stark und auch in der GP3. Großartig, wenn die Jungen das arrivierte Feld aufmischen, das passierte immer wieder in der Vergangenheit und wird auch in der Zukunft so sein. Dies ist ein wesentlicher Teil der Faszination Formel 1. Jeder Superstar findet irgendwann seinen Meister, und auch dieser wird dann irgendwann abgelöst.

SPORT1: In der ersten Saisonhälfte wurde wieder viel über eventuelle Neuerungen diskutiert. Unter anderem sollte es ab der kommenden Saison nach einer Safety-Car-Phase einen stehenden Start geben. Was sagen Sie dazu?

Haug: Für mich eine Schnapsidee, die aus Sicherheitsgründen nicht akzeptabel ist. Aber das hat man ja offensichtlich gemerkt und eingesehen.

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SPORT1: Und was ist Ihre Meinung zu dem häufig gehörten Vorschlag, man solle die Hinterbänkler-Teams aus der Formel 1 nehmen und dafür die übrig gebliebenen Top-Teams mit drei Autos ausstatten?

Haug: Ich bin und war immer dafür, dass Wege gefunden werden, die Formel 1 für Teams zu einem Geschäftsmodell zu machen, bei dem man Geld verdienen kann, wenn man investiert und dann erfolgreich ist. Das ist heute nicht der Fall, auch nicht, wenn ein Team alle Rennen gewinnt. Ich bin sehr für die sogenannten „kleinen“ Teams und bewundere zum Beispiel das Sauber-Team und seine Leidenschaft, nie aufzugeben und immer wieder neue Möglichkeiten zu finden. Ich hatte immer ein offenes Ohr für die Belange der zweiten Hälfte des Starterfeldes und habe mich, wo immer möglich, für diese Teams eingebracht. Sie haben das verdient, und ohne sie geht es nicht. Und gäbe es aktuell drei Silberpfeile im Feld, wäre Platz vier der Sieg für die Konkurrenz. Und nächstes Jahr wären vielleicht drei Ferrari oder drei Red Bull vorne.

SPORT1: Am Ende der Saison werden in Abu Dhabi doppelte Punktzahlen vergeben. Wie stehen Sie dazu, und kann das den Titelkampf zwischen den dominanten Mercedes-Fahrern und ihren Verfolgern noch einmal entscheidend beeinflussen?

Haug: Ich halte von der Idee in etwa so viel wie von jener, bei einem Fussballspiel nach einem 2:0 für einen Elfmeter der zurückliegenden Mannschaft zwei Tore zu geben.

Tobias Wiltschek, Jahrgang 1975, ist geboren und aufgewachsen in Halle/S. Schon während seines Studiums an der Universität Augsburg sammelte er journalistische Erfahrungen in Zeitungs- und Radioredaktionen....