Vermessen, verguckt, verschwiegen: Nach einer Reihe eklatanter Patzer – vor allem zum Nachteil der deutschen Mannschaft – stehen die Kampfrichter bei der Leichtathletik-EM in Zürich in der Kritik.
„Die machen doch hier ohnehin, was sie wollen“, sagte Sprinter Lucas Jakubczyk – und sprach vielen Kollegen aus der Seele.
„Es ist unheimlich schade, dass bei so einer Meisterschaft diese menschlichen Fehler in dieser Häufung passieren“, sagte der deutsche Cheftrainer Idriss Gonschinska: „Es gab auch Irritationen bei anderen Nationen. Kampfrichter stehen unter Stress, aber in dieser Häufung ist das natürlich unglücklich. Wir haben uns in schriftlicher Form bei der Jury eingebracht.“
„Traurig und schockiert“
Am schlimmsten erwischte es Weitspringerin Melanie Bauschke.
„Ich bin traurig und schockiert. Ich habe dem Kampfgericht vertraut“, sagte die Berlinerin unter Tränen, nachdem ihr Bronzetraum geplatzt war.
Bauschkes erster Versuch war mit 6,79 m gemessen worden, hätte Platz drei bedeutet.
Ungläubige deutsche Atlethen
„Im letzten Durchgang kam der Kampfrichter und hat mir erklärt, dass der erste Sprung nur 6,55 weit war. Ich habe ihn angeschaut und gesagt: Ich kann das nicht glauben, habe nur noch einen Versuch“, meinte Bauschke, die nicht mehr nachlegen konnte und Sechste wurde.
Zehnkämpfer Kai Kazmirek erlebte das genaue Gegenteil: Sein erster Weitsprung-Versuch war ungültig gegeben worden, obwohl Kazmirek vor dem Brett abgesprungen war. Nachträgliches Messen ergab absurd geringe 7,25 m, nach einem Protest waren es plötzlich 41 Zentimeter mehr.
Heidler mit Deja-vu
Betty Heidler konnte derweil das Weiten-Chaos in der Hammerwurf-Quali mit Humor nehmen: „Bei mir wird es nicht langweilig“, sagte die Weltrekordlerin.
Nach ihrem ersten Versuch waren 73,05 m angezeigt worden – exakt die Weite ihrer slowakischen „Vorwerferin“ Martina Hrasnova und gleichbedeutend mit der direkten Final-Qualifikation
Heidler packte zusammen, schrieb Autogramme: „Dann wurde mir gesagt, dass ich noch einmal werfen soll, weil sie meine Weite nicht mehr hatten.“
Bereits bei Olympia 2012 war ein Wurf von Heidler aus dem System geflogen, weil er genau die Weite der vorigen Starterin hatte – erst nach Protest gab es Bronze. Die Hammer-Software hat wohl dringend ein Update nötig.
Fragwürdiger Umgang mit Fehlern
Sprinter Jacubczyk zürnte derweil über die Juroren beim 100-m-Finale.
Da zuckte beim Startsignal der Brite Harry Aikines-Aryeetey im Block, der Portugiese Yazaldes Nascimento leistete sich den Fehlstart – doch disqualifiziert wurde keiner. Aikines-Aryeetey wurde verwarnt und holte Bronze. Eine zumindest sehr fragwürdige Regelauslegung.
Äußerst fragwürdig ist in Zürich auch der Umgang mit Fehlern. Sportlern und Funktionären wird wie im Fall Bauschke eine Entscheidung beiläufig und oftmals unbegründet mitgeteilt, öffentlich zumeist gar nicht kommuniziert.
Pannen haben Tradition
Die Veranstalter baten am Donnerstag in einem dürren Statement um Entschuldigung für Pannen aller Art – und schoben die Schuld auf das stürmische Wetter.
„Der hohe Druck durch die besondere Situation hat in einzelnen Fällen leider zu menschlichem Fehlverhalten geführt“, erklärte OK-Chef Patrick Magyar. Dabei haben Fehlentscheidungen und Kampfrichter-Pannen bei großen Leichtathletik-Wettbewerben Tradition.
Bei der Hallen-EM 2005 zeigte die Elektronik für die Rehlinger Weitspringerin Bianca Kappler 6,92 m an – um 42 Zentimeter hätte sie damit ihren besten Versuch übertroffen.
„So weit kann ich nicht springen“, sagte Kappler und legte Protest gegen die Wertung ein. Statt Gold gab es Bronze plus Fair-Play-Preis – und für die Kamfprichter die Eselskappe.