Von Raphael Weber
München – Die Nichtnominierung des unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm zur EM sorgt für reichlich Diskussionen.
Der frühere Europameister Christian Reif, den Rehm bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm auf Platz zwei verwiesen hatte, spricht bei SPORT1 von einer „unglücklichen“ Situation und äußert sich kritisch zum Vorgehen des DLV.
Der Deutsche Leichtathletikverband hatte Rehm nicht für die Europameisterschaften vom 12. bis 17. August nominiert, obwohl dieser mit einer Prothese die Norm gemeistert hatte. (BERICHT: Nicht nominiert – Rehm frustriert und enttäuscht)
„Man hätte die Analysen auch früher durchführen können. Da ist einfach ein bisschen was versäumt worden“, meint Reif.
Bei SPORT1 spricht der Weitsprung-Europameister von 2010 über die Debatte um einen möglichen Vorteil Rehms, Versäumnisse und die Frage der Fairness im Wettkampf gegen den Prothesen-Springer.
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SPORT1: Herr Reif, Markus Rehm wurde nach der Kontroverse der letzten Tage nicht für die EM nominiert. Wie beurteilen Sie die Entscheidung des DLV?
Christian Reif: Es ist schwierig. Von Anfang an war es eine 50:50-Chance, weil er unter Vorbehalt bei der Deutschen Meisterschaft gestartet ist. Das muss man so ehrlich sagen. Auf der anderen Seite fehlt mir bisher die Begründung. Ich hoffe, die fehlt Markus nicht. Ich hoffe, dass man ihn darüber in Kenntnis gesetzt hat, warum man so entschieden hat und ihm das schlüssig erklären konnte. Denn das ist keine einfache Entscheidung.
SPORT1: … ein schwierige Situation oder nicht?
Reif: Man hat sich hier sicherlich ein Problem gemacht, das so nicht hätte eintreten müssen, wenn man im Vorfeld alles besser abgeklärt hätte. Jetzt ist es sehr unglücklich verlaufen, für Markus mit Sicherheit sehr, sehr enttäuschend. Ich hoffe, dass er trotzdem eine sehr gute Begründung erhalten hat, so dass sich die Enttäuschung im Großen und Ganzen in Grenzen halten kann. (BERICHT: Ein Märchen, ein Politikum)
Reif tröstet Rehm
SPORT1: Was hätte man besser machen können?
Reif: Es gibt zwei Möglichkeiten: Man hätte Markus einfach außer Wertung springen lassen können, wenn das bei Deutschen Meisterschaften zulässig ist. Aber im Hinblick auf den Inklusionsgedanken dürfte das kein Problem sein. Man hätte hier eine Ausnahme machen können, auch wenn es normalerweise nicht die Möglichkeit gibt, außer Wertung bei Deutschen Meisterschaften zu starten. Aber normalerweise springen ja auch keine paralympischen Athleten bei Deutschen Meisterschaften. Zum anderen hätte man die Analysen auch früher durchführen können. Ich hoffe doch zumindest, dass das in irgendeiner Form möglich ist. Da ist einfach ein bisschen was versäumt worden.
SPORT1: Ist die Nichtnominierung ein Fehler?
Reif: Das kann ich überhaupt nicht sagen, weil mir keine Werte vorliegen. Ich gehe davon aus, dass man Markus diese Nichtnominierung anhand biomechanischer Werte begründet hat. Da ich weder diese, noch eine Argumentationskette kenne, kann ich nicht sagen, ob das so in Ordnung ist oder nicht. Es ist insgesamt sehr, sehr unglücklich, weil ich selbst auch ganz wenige Informationen habe. Ich weiß nicht, ob er Deutscher Meister ist oder ich. Es ist ein Schwebezustand und wirklich keine schöne Situation für alle Beteiligten. (KOMMENTAR: Zeit zum Umdenken)
SPORT1: War die Deutsche Meisterschaft für Sie ein fairer Wettkampf?
Reif: Ich habe den Wettkampf überhaupt nicht als unfair wahrgenommen. Sollte er einen nachgewiesenen Vorteil gehabt haben, dann ist es schwierig – und das weiß Markus selbst – von einem Wettkampf unter gleichen Bedingungen zu sprechen. Aber das ist ja jedem klar: Sobald ein Athlet einen Vorteil gegenüber allen anderen hat, ist die Chancengleichheit nicht mehr gegeben und dementsprechend das Fairplay nicht gewahrt. Aber ob das so ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass er nicht startet – und was bisher rauskam, ist ein bisschen dürftig.