Ulm/München – Noch verflixte drei Zentimeter bis zur magischen Marke: Die bislang vergebliche Jagd nach seinem ersten 22-Meter-Stoß lässt selbst David Storl ein wenig dünnhäutig werden.

„Nächste Frage!“, entgegnete der sonst so coole Kugel-Hüne auf das Nachhaken, wann es denn endlich mit der Traumweite klappt. Doch spätestens seit Storls 21,97 m am Sonntag in London ist klar:

Der ominöse „22er“ ist reif, schon am Freitag bei der Deutschen Meisterschaft in Ulm soll er her.

„Marke kann jederzeit fallen“

Der zweimalige Weltmeister hält sich vor dem erstmals aus dem Hauptprogramm der Titelkämpfe ausgelagerten Kugel-Wettbewerb bedeckt, dafür spricht Trainer Sven Lang Klartext:

„Es fehlt nicht viel, die Marke kann jetzt in jedem Wettkampf fallen“, sagte der 52-Jährige.

Es wäre ein Schritt, den Storl bereits bei der Hallen-WM im März als „überfällig“ bezeichnet hatte – und den er im Training schon einige Male gemacht hat.

Ungewöhnliche Orte motivieren

Die Bedingungen in Ulm, wo auf dem Münsterplatz gestoßen wird, sind ideal.

Der 23 Jahre alte Chemnitzer liebt Wettkämpfe an besonderen Orten, ihn beflügeln stimmungsvolle Kulissen wie am vergangenen Samstag vor dem Gothaer Schloss und einen Tag später, als er auf der Londoner Horse Guards Parade seine Bestleistung um sieben Zentimeter steigerte.

Storl löst in Ulm die Handbremse

„Das finde ich besser als im Stadion, wo wir meist hinter den Läufern zurückstehen“, sagte Storl, der sich in London über „einen großartigen Wettkampf“ freute, in dem er bis auf sechs Zentimeter an die Jahresweltbestleistung des US-Amerikaners Joe Kovacs (22,03) heran kam.

Dabei verschenkte Storl zuletzt bewusst einige Zentimeter: Aufgrund seiner Knieprobleme verzichtete er auf das sogenannte „Umspringen“ im Ring, wählte die schonendere Stützstoß-Technik.

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Geschichte ist möglich

In Ulm will er aber volles Risiko gehen – einen Viertelmeter könnte diese Umstellung bringen.

Sollte es mit dem „22er“ klappen, wäre Storl der dritte Deutsche, dem dies gelingt: Vor ihm liegen Europarekordler Ulf Timmermann (23,06/1988) und Olympiasieger Udo Beyer (22,64/1986).

Die beiden DDR-Athleten waren allerdings in der Hochzeit des Anabolika-Missbrauchs aktiv, Storls Leistung wäre umso höher einzuschätzen – zumal seit 2000 lediglich sieben der notorisch unter Verdacht stehenden US-Stoßer, der lebenslang gesperrte Weißrusse Andrej Michnewitsch sowie der Kanadier Dylan Armstrong die 22 Meter übertrafen.

Konkurrenz hinkt hinterher

An Storls Titelgewinn in Ulm bestehen keine Zweifel, das Jahrhunderttalent ist in Deutschland haushoch überlegen: Der Sindelfinger Tobias Dahm liegt als zweitbester Deutscher mit seiner Saisonbestleistung (19,96 m) mehr als zwei Meter hinter Storl zurück.

Auch für die EM in Zürich (12. bis 17. August) sind bis auf Polens Olympiasieger Tomasz Majewksi (21,04 m in diesem Jahr) und den Russen Alexander Lesnoi (21,40) kaum ernsthafte Gegner in Sicht.

„Man darf eine Europameisterschaft nicht unterschätzen“, sagte Storl: „Gute 21 Meter braucht es schon, um da ganz vorne mitzumischen.“ Für den Weltmeister in Normalform ein Klacks.

Schwanitz zeigt ansteigende Form

Die weibliche Variante von David Storl heißt Christina Schwanitz. Die Vizeweltmeisterin ist global die klare Nummer zwei hinter der Neuseeländerin Valerie Adams, in Europa aber in dieser Saison mit 20,22 m die bestimmende Athletin vor der Russin Jewgenija Kolodko (19,33) – Shanice Craft liegt vor dem Schlagabtausch am Freitag in Ulm als zweitbeste Deutsche (17,43) Lichtjahre zurück.

„Vor der EM ist Platz zwei in der Welt und Rang eins in Europa mehr als okay“, sagt die Sächsin, die nach Verletzungsproblemen in London mit 19,92 m klar aufsteigende Form zeigte: „Derzeit mache ich alles nur zu 80 Prozent. So gesehen bin ich sehr zufrieden.“