Es war ein Thema, das Fußball-Deutschland so gespalten hinterließ wie wenige zuvor.

Im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2018 wurde ein Foto der damaligen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Stein des Anstoßes für eine hitzige Debatte, die das Klima rund ums DFB-Team nachhaltig belastete. Im SPORT1-Doppelpass hat der damalige Bundestrainer Joachim Löw nun neue Einblicke in die folgenschweren Geschehnisse gegeben.

Mesut Özil (l.) und Ilkay Gündogan sorgten 2018 vor der WM für eine große Diskussion in Deutschland
Mesut Özil (l.) und Ilkay Gündogan sorgten 2018 vor der WM für eine große Diskussion in DeutschlandMesut Özil (l.) und Ilkay Gündogan sorgten 2018 vor der WM für eine große Diskussion in Deutschland

„Die Mannschaft war zum ersten Mal gespalten“

„Das hat für unglaublich viele Diskussionen gesorgt in unserem Land“, erinnerte sich Löw und fügte hinzu: „Die zwei, drei Wochen im Trainingslager gab es eigentlich nur ein Thema. Es ging einfach zu viel Energie, zu viel Konzentration verloren.“

Am 14. Mai 2018 – einen Tag vor der Nominierung des vorläufigen WM-Kaders – war ein Foto von Özil und Gündogan bei einem Termin mit Erdogan in London publik geworden. Es löste scharfe Kritik aus, weil es als Sympathiebekundung für den zunehmend autoritär regierenden Staatschef kurz vor der Präsidentschaftswahl gedeutet wurde. Auch der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel reagierte entsetzt, warf Özil und Gündogan vor, sie hätten sich von Erdogan für ein „Wahlkampfmanöver missbrauchen“ lassen.

Das Verhalten von Özil und Gündogan und der Umgang des DFB damit lösten eine scharfe und teils hässlich ausartende Debatte aus, ihre Loyalität zu Deutschland wurde infrage gestellt. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schaltete sich ein und suchte das Gespräch mit Özil und Gündogan.

Am Team ging das alles nicht spurlos vorüber, wie der heute 65 Jahre alte Löw im Dopa verdeutlichte: „Zum ersten Mal in meiner Zeit war sich die Mannschaft nicht mehr so einig. Die Mannschaft war zum ersten Mal gespalten.“

Löw wollte für Özil und Gündogan einstehen

Löw stellte sich damals vor Özil und Gündogan – ist sich heute aber nicht mehr sicher, ob es aus sportlicher Sicht die richtige Entscheidung war.

„Möglicherweise wäre es besser gewesen, auf sie zu verzichten“, gestand der ehemalige Bundestrainer, wenngleich er im selben Atemzug betonte: „Ich habe gesagt: Gerade jetzt, wenn die Spieler so unter Beschuss sind, müssen wir sie schützen.“

Jedoch waren die beiden so verunsichert von der öffentlichen Debatte und den Anfeindungen, dass sie sich nicht auf den Fußball und die WM konzentrieren konnten. „Es war dann so, dass weder Ilkay noch Mesut Leistungen gebracht haben, die uns geholfen haben“, erklärte Löw.

Er fügte hinzu: „Der Ilkay saß in der Kabine und hat Tränen vergossen. Mesut war natürlich auch demoralisiert. Die Anfeindungen haben die Spieler stark belastet.“

WM-Generalprobe wurde zum Spießrutenlauf

Die WM-Generalprobe gegen Saudi-Arabien sollte damals eigentlich Vorfreude auf das Turnier schüren, doch sie entwickelte sich zu einem Spießrutenlauf für Özil und Gündogan. Beide wurden von den eigenen Fans lautstark ausgepfiffen. Es war ein Stimmungskiller.

Der Weltmeistercoach von 2014 betonte, dass er zusammen mit seiner Mannschaft daraufhin in Russland „völlig zurecht“ in der Gruppenphase ausgeschieden sei.

„Erdogangate“ war damit bekanntlich immer noch nicht ausgestanden: Özil – der auch deshalb kritisiert wurde, weil er sich anders als Gündogan lange zum Thema ausschwieg – gab kurz nach der WM seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. Er fühlte sich von den DFB-Oberen im Stich gelassen und zum Sündenbock abgestempelt, Grindel warf er Rassismus vor. Inzwischen macht der heute 36-Jährige aus seiner politischen Nähe zu Erdogan keinen Hehl mehr. Er gehört seit diesem Jahr auch dem Vorstand von dessen Partei AKP an.

Gündogan setzte seine DFB-Karriere fort und erlebte noch eine besondere Genugtuung, als er 2023 von Löws Nachfolger Hansi Flick zum Kapitän ernannt wurde. Nach der EM 2024 trat er aus dem Nationalteam zurück.

Martin Hoffmann, Jahrgang 1981, geboren in Naumburg, studierte Amerikanische Kulturgeschichte, Kommunikationswissenschaften und Politologie in München. Freie Mitarbeit unter anderem für die "Süddeutsche...