Es sind turbulente Tage für Francesco Acerbi, den streitbaren Star von Inter Mailand.

Am Samstag ging sein Klub im Champions-League-Finale von München mit 0:5 gegen Paris Saint-Germain unter, die späte Krönung seiner Vereinskarriere blieb dem 1,92-Meter-Hünen aus der Lombardei auf bittere Weise verwehrt.

Am Tag darauf bugsierte sich Acerbi auch selbst in die Schlagzeilen: Der 37-Jährige lehnte eine Nominierung für die italienische Nationalmannschaft bei den kommenden WM-Qualifikationsspielen ab – mit einer gereizten Ansage in Richtung von Nationaltrainer Luciano Spalletti. Von einer „unangenehmen Komödie“ war in der Gazzetta dello Sport die Rede.

Acerbi – der sich nach dem Viertelfinal-Sieg über Bayern mit einer höhnischen Aktion in Richtung der scheidenden Klub-Ikone Thomas Müller bei den Münchener Fans unbeliebt gemacht hatte – fühlt sich von Spalletti in seinem Stolz verletzt. Seine Abfuhr löste ein kontroverses Echo aus.

„Ich verlange Respekt“

„Nach reiflicher Überlegung habe ich dem Trainer heute gesagt, dass ich die Berufung in die Nationalmannschaft nicht annehme“, teilte Acerbi am Sonntag bei Instagram mit.

„Es ist keine leichte Entscheidung, denn das Trikot der Azzurri zu tragen, war für mich immer eine Ehre und ein Stolz. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass im Lichte der jüngsten Ereignisse die Voraussetzungen für eine Fortsetzung dieses Weges bis heute nicht gegeben sind. Ich bin nicht auf der Suche nach Alibis oder Gefälligkeiten, sondern ich verlange Respekt. Und wenn dieser Respekt bei denjenigen fehlt, die eine Gruppe führen sollten, dann trete ich lieber zur Seite.“

Warum Acerbi den Respekt des Coachs vermisst? Ganz offen spricht er es nicht aus, auf die meisten Beobachter wirkt aber eindeutig, worauf er anspielt.

Acerbi fühlt sich nicht als „Teil des Projekts“

Acerbi war seit Ende 2023 nicht mehr von Spalletti nominiert worden, nachdem er durch die nicht final aufgeklärten Rassismusvorwürfe von Neapels Juan Jesus in Verruf geraten war.

Im Frühjahr wurden infolge von Acerbis starker Saison die Fragen nach einem Comeback lauter. Spalletti ließ durchblicken, dass er keinen Sinn darin sehen würde, mit Blick auf die WM 2026 auf einen dann 38-Jährigen zu bauen.

Acerbi hat das offensichtlich als bleibende Kränkung aufgefasst – und zeigt Spalletti nun die kalte Schulter, obwohl der ihn doch wieder hätte nominieren wollen. „Es ist klar, dass ich nicht Teil des Projekts dieses Trainers bin“, schreibt Acerbi. Er habe das Gefühl, nicht wirklich gewollt zu sein.

Mit Frust über das 0:5 gegen PSG habe seine Entscheidung nichts zu tun, versichert Acerbi, er sehe die „Notwendigkeit, einen Schritt zurückzutreten“.

Buffon zeigt Unverständnis

Italien trifft am Freitag in der WM-Qualifikation auf Norwegen (20.45 Uhr im LIVETICKER), Montag folgt das Duell mit Moldawien – ohne Acerbi.

Verstehen kann das nicht jeder, insbesondere Torwart-Legende Gianluigi Buffon übt Kritik, der Italiens Nationalteam nun als Delegationschef dient.

„Man sagt als Spieler nicht nur Nein zu Spalletti“, betonte „Gigi“ in einem Interview mit dem Sender Rai: „Man sagt etwas Größerem ab: Italien.“ Es sei eine „Ehre“, sein Land zu vertreten – dass Acerbi diese Ehre ablehnt, könne er nicht verstehen, wie Buffon deutlich machte.

„Das Trikot der Azzurri steht über allem anderen“

Auf der Pressekonferenz am Dienstag wurde auch Giovanni Di Lorenzo mit dem Thema konfrontiert. Der Napoli-Außenverteidiger vermied wenig überraschend offene Kritik, setzte aber dennoch ein Zeichen: „Haben wir über Acerbis Absage gesprochen? Ich kann nur sagen, dass es eine Freude und eine Ehre für alle Jungs in der Nationalmannschaft ist, hier zu sein. Das Trikot der Azzurri steht über allem anderen.“

Der Bruch zwischen Acerbi und dem Nationalteam ist aber womöglich nicht endgültig. Auch der Routinier ließ sich in dieser Hinsicht eine Hintertür offen.

Gut möglich, dass er mit Blick auf die WM noch deutlichere Signale hören will, doch erwünscht zu sein. Ob Spalletti sie ihm geben kann und geben möchte, wird die Zeit zeigen.

Martin Hoffmann, Jahrgang 1981, geboren in Naumburg, studierte Amerikanische Kulturgeschichte, Kommunikationswissenschaften und Politologie in München. Freie Mitarbeit unter anderem für die "Süddeutsche...