Es gibt deutschlandweit wohl keinen größeren Bayern-Schreck als Borussia Mönchengladbach. Seit 25 Monaten ist Gladbach gegen Deutschlands Fußballmacht ungeschlagen, fügte dem FCB 2021 eine unvergessliche 5:0-DFB-Pokal-Schmach zu. Im vergangenen Herbst quälten Gladbachs Abwehr und Torwart die Bayern sogar so sehr (1:1), dass sie Yann Sommer verpflichten.

Das letzte Duell des Rekordmeisters gegen die Elf vom Niederrhein liegt erst wenige Monate zurück: Die Fohlen triumphierten 3:2. Die Glücksgefühle des Gladbach-Anhangs sind jedoch längst verpufft, denn die Helden der jüngsten Fußballfeste gegen Bayern suchen das Weite.

Sommer, Stindl, Bensebaini, Thuram und Hofmann: Der Stamm bricht weg

Da wären zum einen die Torschützen des 3:2-Sieges: Lars Stindl (Karlsruhe, ablösefrei), Marcus Thuram (Inter Mailand, ablösefrei) und jetzt auch noch Jonas Hofmann (Leverkusen, 10 Millionen Euro). Aus Gladbachs Stamm- und Startelf geflohen ist zusätzlich Ramy Bensebaini (Dortmund, ablösefrei). Die Vereinslegende Sommer verabschiedete sich schon im Winter.

Seit Roland Virkus im Februar 2022 auf Max Eberl folgte, wurden ein halbes Dutzend Topstars verscherbelt. Publikumslieblinge Matthias Ginter, Bensebaini, Stindl und Thuram haben in Summe einen Marktwert von 70 Millionen Euro. Virkus‘ Ertrag aus ihren Abgängen: 0 Euro. Eine katastrophale Bilanz.

Ohnehin täuschen Gladbachs Glanzleistungen gegen den FC Bayern hinweg über eine fatale sportliche Entwicklung. Die letzte Qualifikation für den internationalen Wettbewerb gelang in der Saison 2019/2020 unter Marco Rose, der Gladbach auf Platz vier führte. Danach folgte Platz acht (Saison 20/21) und dann zweimal Platz zehn.

Seoane braucht neuen Kapitän, die Gladbach-Fans eine neue Identifikationsfigur

Gladbach ist längst im grauen Mittelmaß angekommen – wird der Absturz noch schlimmer?

Immerhin verlieren die Fohlen mit Hofmann, Stindl und Thuram jetzt also auch noch ihre komplette Offensive. Denn die zwölf Tore und elf Vorlagen, die Hofmann in der vergangenen Saison zum viertbesten Scorer der Bundesliga gemacht haben, wird der Klub schmerzlich vermissen. Thuram, mit 13 Treffern bester Torschütze, legte weitere sieben Treffer auf.

Insgesamt sind 39 der 52 Gladbacher Tore aus der abgelaufenen Spielzeit, also exakt 75 Prozent aller Treffer, durch die Abgänge weg. Neben Thuram (13), Hofmann (12) waren auch Stindl (8) und Bensebaini (6) mit wichtigen Toren zur Stelle.

„Ein Bursche, der nur edlen Sinn und kühnste Taten kennt“, schrieben die Gladbach-Fans ihrem Kapitän zum Abschied
„Ein Bursche, der nur edlen Sinn und kühnste Taten kennt“, schrieben die Gladbach-Fans ihrem Kapitän zum Abschied„Ein Bursche, der nur edlen Sinn und kühnste Taten kennt“, schrieben die Gladbach-Fans ihrem Kapitän zum Abschied

Der neue Trainer Gerardo Seoane muss außerdem einen neuen Kapitän finden, denn Vereinslegende Stindl, der in der Arena mit einer Choreo emotional verabschiedet wurde, kehrt zu seinem Heimatklub Karlsruhe zurück.

Der treue Offensiv-Allrounder trug die Kapitänsbinde seit 2016 mit leiser Bescheidenheit und sportlicher Konstanz. Mit dem bald 35-Jährigen geht der langjährige Fixpunkt der Mannschaft, der trotz seines fortgeschrittenen Alters auch sportlich eine Lücke reißt.

Acht Treffer und sieben Vorlagen schaffte er in der vergangenen Saison. In acht Jahren Gladbach war Stindl in jeder zweiten Partie an einem Tor beteiligt.

Aus der Not eine Tugend machen? Roland Virkus hat gut eingekauft

Grund für Hoffnung gibt es natürlich trotzdem. Denn obwohl man dem Geschäftsführer Virkus seine verherende Verkaufs-Bilanz vorhalten kann, hat der Gladbacher auf der Zugangsseite gut vorgesorgt.

Zum Beispiel in Person des italienischen Jugendnationalspielers Fabio Chiarodia (18), der bei Werder Bremen schon Bundesliga-Luft schnappen durfte.

Eine direkte Verstärkung ist Linksaußen Robin Hack, 24 Jahre jung, der mit der Empfehlung von zehn Saisontoren und fünf Vorlagen vom Zweitliga-Absteiger Bielefeld kommt. Aus der Bayern-Jugend kommt außerdem der 19 Jahre junge Mittelstürmer Grant-Leon Ramos.

Zwickmühle bei Koné – Verletzungspause sogar hilfreich?

Und dann wäre da noch Gladbachs Rohdiamant Manu Koné. Im Frühjahr wurde der junge Franzose fast wöchentlich mit neuen Weltklubs in Verbindung gebracht, verkörpert er doch im defensiven Mittelfeld eine seltene Kombination aus Robustheit und Spielwitz.

Beim 22-Jährigen steckt Gladbach in einer Zwickmühle: Entweder bleibt eines der spannendsten Talente Europas am Niederrhein – oder sein Abgang wird mit einer Rekordablöse jenseits der 50 Millionen Euro versüßt.

Durch seine Knieverletzung bei der U21-EM mit Frankreich (Ausfallzeit unklar) könnte sich ein Wechsel vorerst erledigt haben. Gladbach könnte davon zwar profitieren, weil der Jungstar so nicht verkauft werden kann – gleichzeitig fehlen die möglichen Transfer-Millionen aber für Investitionen in den Kader.

Borussia Mönchengladbach im Umbruch: Die Messlatte für Ersatz ist hoch

Am Sonntag, den 9. Juni, bittet Trainer Seoane die ihm verbliebenen Gladbach-Spieler zum Trainingsauftakt. Knapp fünf Wochen hat der neue Trainer dann bis zum 11. August 2023, an dem seine Mannschaft in der ersten Runde des DFB-Pokals auf den Oberligisten TuS Bersenbrück trifft.

Gladbachs Kader-Planern um Virkus haben dagegen noch bis zum 1. September Zeit, ihren Beitrag zum Gladbacher Erfolg zu leisten. Dann schließt nämlich das Sommer-Transferfenster.

Als Stindl in seinem letzten Heimspiel in die Gladbacher Kurve stieg und die Ultras ihm ihr Megafon überreichten, sagte er emotional: „Ich habe es geliebt, von der ersten Sekunde an, hier im Borussia-Park zu spielen. Ich habe es geliebt, mit euch auswärts zu reisen, international zu reisen. Ich bin, Stand jetzt, kein Spieler mehr von Borussia Mönchengladbach, sondern einfach ein riesiger Fan von Borussia Mönchengladbach.“

Dankbarkeit, internationaler Erfolg, Treue und Identifikation: Die Messlatte für Ersatz könnte kaum höher sein.