Schalke 04 kann sich wieder Hoffnungen auf den Klassenerhalt machen!

Seit sechs Spielen sind die Königsblauen ungeschlagen. Rechtzeitig vor dem Revierderby am Samstag zu Hause gegen Borussia Dortmund (ab 18:30 im LIVETICKER) ist die Laune in Gelsenkirchen wieder bestens.

Einer, der sich über den jüngsten Erfolg von S04 extrem freut, ist Rüdiger Abramczik. Der gebürtige Gelsenkirchener ist eine echte Schalke-Legende. Von 1973 bis 1980 trug er das königsblaue Trikot. Anschließend spielte Abramczik aber auch drei Jahre für den BVB. Im SPORT1-Interview spricht der 67-Jährige über die Mutter aller Derbys.

SPORT1: Herr Abramczik, Schalke lebt wieder. Was sagen Sie dazu?

Rüdiger Abramczik: Dass meine Schalker in den zurückliegenden sechs Spielen viermal Remis spielen und zwei Siege einfahren würden, damit konnte man nicht rechnen. Zumal es auch gegen Gegner ging, bei denen man nicht unbedingt davon ausgehen konnte, dass überhaupt gepunktet werden kann.

Das war zuletzt sensationell. Schalke war eigentlich schon abgestiegen. Aber diese sechs Partien haben mich absolut überzeugt. Das haben die Jungs super hingekriegt. Und es ist erschreckend für alle anderen da unten in der Tabelle. Schalke ist wieder im Geschäft, damit hat keiner gerechnet.

Abramczik: Jenz „bringt hinten Sicherheit“

SPORT1: Was ist der Hauptgrund für dieses Comeback?

Abramczik: Man hat sich spielerisch ganz klar verbessert. Mit Moritz Jenz wurde ein sehr guter Mann geholt. Er ist ein schneller Junge, hält in der Abwehr alles zusammen, ist kopfballstark und kann den einen oder anderen Gegenspieler auch mal ablaufen. Das bringt hinten Sicherheit. Und das ist das Geheimnis des neuen Schalker Erfolgs.

SPORT1: Ist da auch ein neues Wir-Gefühl entstanden?

Abramczik: Thomas Reis hat da einiges erreicht. Er hat Schalke wiederbelebt. Etwas, was seine Vorgänger nicht geschafft haben. Klaus Fischer sagte mal, dass Kramer (Reis-Vorgänger Frank Kramer, d. Red.) keine Ahnung gehabt hat, weil er Rodrigo Zalazar nicht aufgestellt hatte. Das fand ich auch nicht gut.

Rüdiger Abramczik spielte für Schalke und den BVB

Ich hatte schon mehrere Monate gesagt, dass Zalazar spielen muss. Reis ist ein ehemaliger Bundesliga-Spieler und weiß, wie er eine Mannschaft einstellt. Wenn Schalke wieder einen Trainer wie Kramer bekommen hätte, dann wären wir sicher nicht so aus den Puschen gekommen wie zuletzt mit Reis.

Abramczik-Kritik an Ex-Trainer Kramer

SPORT1: Kramer mochten Sie nicht?

Abramczik: Ich will ihm gar nichts Böses, aber die Ergebnisse unter ihm haben einfach nicht gestimmt. Und wenn Zalazar unter Kramer nicht spielen durfte, dann frage ich mich nur, ob Kramer je Fußball gespielt hat. Zalazar ist ein Spieler, der alles kann. Er musste einfach spielen, so jemand setze ich nicht auf die Bank.

Reis stellt drei defensive und drei offensive Spieler auf und da muss Zalazar bei den offensiven Jungs dabei sein. Er muss gar nicht nach hinten arbeiten. Günter Netzer und Wolfgang Overath spielten auch nie in der Abwehr. Sie brauchten ihren Freiraum, ähnlich wie Zalazar. Das hätte Kramer einfach erkennen müssen.

SPORT1: Wie sehen Sie sonst das Team?

Abramczik: Auf der rechten Seite hat sich Cedric Brunner toll entwickelt. Michael Frey spielt meistens für Simon Terodde und ist ein Verrückter. Frey rennt und arbeitet viel. Man sieht, dass er will. Das will ich Terodde gar nicht absprechen, aber Frey ist jünger, schneller und kann mehr laufen. Deshalb spielt er auch. Die Mischung ist gerade richtig gut.

Marius Bülter spielt bei uns auch eine super Rolle. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Er war schon abgeschrieben, wollte sein Studium zu Ende machen. Reis hat den Jungen wieder in die Spur bekommen.

Abramczik kann Effenberg-Aussage über Fährmann nicht nachvollziehen

SPORT1: Thomas Reis hatte einen schweren Start auf Schalke. Wie bewerten Sie ihn jetzt?

Abramczik: Reis wurde zu Beginn seiner Zeit auf Schalke sehr oft kritisiert. Aber er hat abgeliefert. Reis sagte anfangs, dass man ihn erstmal arbeiten lassen soll. Er brauchte Zeit und die hat er bekommen. Und was er inzwischen auf die Beine gestellt hat, ist sensationell.

SPORT1: Passt er wie die Faust aufs Auge zu Schalke?

Abramczik: Wie die Faust aufs Auge? Das weiß ich nicht. Das wird man am Saisonende sehen. Wenn wir mit Reis in der Liga bleiben, dann passt er wie die Faust aufs Auge zu Schalke. Wenn wir absteigen sollten, war es mit ihm auch nicht gut.

SPORT1: Lassen Sie uns über Ralf Fährmann sprechen, der seit Wochen ein sicherer Rückhalt für Schalke ist. In der Vergangenheit wurde er oft kritisiert. Auch SPORT1-Experte Stefan Effenberg hatte ihn im STAHLWERK Doppelpass abgewatscht, er sei kein guter Torwart. Wie ist Ihre Meinung?

Abramczik: Stefans Äußerungen kann ich nicht immer nachvollziehen. Fährmann wäre fast bei der Nationalmannschaft dabei gewesen, dann gab es einen Rückschlag für ihn und es kam ein neuer Torwart. Leider gab es auf Schalke immer starke Konkurrenz unter den Torhütern. Wenn der eine schlecht gehalten hat, kam gleich der Nächste ins Tor.

Fährmann, der pausenlos ausgeliehen wurde, ist jetzt die klare Nummer 1, weil Alexander Schwolow viele Fehler gemacht hat. Fährmann war immer ruhig und hat sich vernünftig verhalten. Und er hat auf seine Chance gewartet. Reis musste reagieren und Schwolow rausnehmen.

Die Runde des STAHLWERK Doppelpass ist sich einig, dass die Schalker wieder eine Chance auf den Klassenerhalt haben.

Die Runde des STAHLWERK Doppelpass ist sich einig, dass die Schalker wieder eine Chance auf den Klassenerhalt haben.

Deswegen wechselte Abramczik aus Gelsenkirchen nach Dortmund

SPORT1: Sie sind in Gelsenkirchen geboren, haben aber nach Ihrer Schalke-Zeit bei Borussia Dortmund gespielt. Was lief da schief?

Abramczik: (lacht) Mein größtes Vorbild war Stan Libuda und auch er wechselte zum BVB. Ich war also nicht der Einzige, der als Schalker auch mal schwarzgelb trug. Bei mir war es aber so, dass Schalke mich regelrecht gebeten hat, zum BVB zu wechseln, weil man kein Geld hatte. Ich hätte auch zum FC Bayern wechseln können. Nur wegen der Familie wollte ich im Ruhrpott bleiben.

Für die Karriere wäre es besser gewesen nach München zu wechseln. Dann hätte ich mehr Titel gewonnen. Ich hatte Dr. Rauball (damaliger Präsident Reinhard Rauball in seiner ersten Amtszeit, d. Red.) beim BVB schon meine Zusage gegeben. Obwohl mich bei Bayern alle umstimmen wollten.

SPORT1: Wieso?

Abramczik: Paul Breitner, Kalle Rummenigge, Dieter und Uli Hoeneß riefen mich damals nachts an und wollten, dass ich mir das mit dem BVB nochmal überlege. Dieter meinte in einem nächtlichen Telefonat ‚Mensch Abi, komm zu uns, dann haust du mir die Flanken auf den Kopf und ich muss sie nur noch reinmachen.‘ Ich habe wegen den Bayern zwei Nächte schlecht geschlafen.

SPORT1: Andreas Möller wechselte 2000 vom BVB zu S04 und bekam die komplette Fan-Wut zu spüren. Wie war das bei Ihnen damals?

Abramczik: Als mein Wechsel nach Dortmund bekannt wurde, waren unsere blau-weißen Jungs stocksauer auf mich. Ich habe mit acht Jahren angefangen auf Schalke Fußball zu spielen. Es wurde aber immer nur so kommuniziert, dass ich gehen wollte und nicht der Klub es auch wollte. Aber das entsprach nicht der Wahrheit.

Schalkes Bosse sagten zu mir: ‚Bitte tu uns den Gefallen, wir haben kein Geld mehr, du bist der Einzige, für den wir Geld kriegen.‘ Schalkes Bosse haben mich damals regelrecht zum BVB geschickt. Bei S04 war das oft so, wenn man wegging, dann wurde es so hingestellt, dass man den Spieler halten wollte. Keiner wollte bei Schalke die Schuld bei sich suchen.

Pleite auf Schalke? „Dann ist die Meisterschaft für den BVB vorbei“

SPORT1: War das ein grundlegendes Problem?

Abramczik: Ja. Dieses Problem hatte Schalke schon damals. Klaus Fischer, Rolf Rüssmann (2009 verstorben, d. Red.) sind immer Schalker gewesen. Klaus ist seit rund 53 Jahren in Gelsenkirchen, er wollte auch nie weg. Aber es hat sich so ergeben, weil der Verein oft schlecht gewirtschaftet hat.

SPORT1: Macht S04 im Derby gegen den BVB überhaupt etwas Hoffnung?

Abramczik: Man muss abwarten, wie es läuft. Die Dortmunder sind in der Champions League gegen Chelsea rausgeflogen und das war schon etwas überraschend. Ganz Dortmund hat geschluchzt. Beim BVB wurde von drei Hochzeiten geredet, jetzt sind es nur noch zwei. Wenn sie auf Schalke verlieren oder nur Unentschieden spielen sollten, dann ist die Meisterschaft für den BVB vorbei.

Schalke? „Ein Sieg gegen Dortmund wäre also auch eine Gefahr“

SPORT1: Julian Brandt ist der Spieler der Saison bei den Dortmundern. Er wird am Samstag fehlen. Kann das den Schalkern Hoffnung machen?

Abramczik: Nein. Der Junge ist ein Riesenkicker, ich sehe ihn gerne Fußball spielen. Er ist ein super Techniker, sehr zweikampfstark, hat tolle Dribblings. Aber er macht leider zu wenig Tore. Natürlich wird Brandt dem BVB fehlen, weil er seit einem halben Jahr der Kopf der Mannschaft geworden ist.

Aber für Schalke ist es egal, ob Brandt dabei ist oder nicht. Wir müssen stabil stehen und mit den drei Mittelfeldspielern vor der Abwehr gut spielen. Wir dürfen nicht anfangen mit dem BVB Fußball zu spielen. Wir können nur bis zum Erbrechen kämpfen. Wenn wir wirklich gewinnen sollten, dann brennt der Pott.

SPORT1: Muss man dann die Euphorie auf Schalke nicht gefährlich?

Abramczik: Doch. Dann muss man alles wieder runter fahren, weil man auf Schalke immer schnell zufrieden ist. Ein Sieg gegen Dortmund wäre also auch eine Gefahr.

SPORT1: Kommt das Derby jetzt zum unpassendsten Moment für Schalke?

Abramczik: Nein. Überhaupt nicht. Wir haben seit sechs Spielen nicht verloren und die Dortmunder sind in Europa raus. Das ist ein Derby. Es gibt nichts Geileres!

Reinhard Franke, Jahrgang 1972, gelernter Verlags- und Musikkaufmann. Nach acht Jahren als Musikredakteur beim Axel Springer Verlag in München anschließend von 2008 bis 2014 Freier Mitarbeiter in der...