Nach 20 Jahren im Profifußball hat Andreas Beck seine Karriere beendet.
Mit dem VfB Stuttgart wurde er 2007 Deutscher Meister, mit Besiktas Istanbul zweimal Türkischer Meister (2016 und 2017) und mit der deutschen U-21-Nationalmannschaft zudem Europameister 2009.
Im SPORT1-Interview blickt der 35-Jährige auf seine aktive Laufbahn zurück und spricht über die Schwierigkeiten des Profifußballs, unangenehme Gegenspieler und anstrengende Trainer sowie lukrative Angebote.
Karriereende in Belgien: „Harte Entscheidung“
SPORT1: Herr Beck, Sie haben in Belgien Ihre Karriere beendet und leben jetzt dort. Warum wollten Sie nicht zurück nach Deutschland?
Andreas Beck: Sportlich gesehen war meine Heimat immer Deutschland. Hoffenheim und Stuttgart, wo ich fußballerisch aufgewachsen bin, waren für mich sehr familiäre Clubs. Dieser Schritt mit 28 Jahren nach Istanbul ins Ausland zu gehen, hat mich gefühlt erwachsen gemacht. Raus aus der Komfortzone zu kommen und neue Perspektiven zu erleben, tat mir gut. Als wir aus Istanbul zurückkamen und ich noch zwei Jahre beim VfB spielte, war für mich klar, dass die nächste und vielleicht letzte Station wieder das Ausland sein muss. Ich bin in Russland geboren und meine Frau ist Kroatin, unsere Familie ist also sehr international.
SPORT1: Was sagen Sie zum Krieg in der Ukraine?
Beck: Krieg sollte nie eine Option sein. Die zivile Bevölkerung leidet auf beiden Seiten extrem darunter. Diese Situation ist belastend für alle. Ich wünsche mir so sehr, dass das schnellstmöglich ein Ende findet.
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Beck über Rücktritt: „Man stirbt einen kleinen Tod“
SPORT1: Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung endgültig Schluss zu machen mit Profifußball?
Beck: Am Ende war es eine harte Entscheidung, die hieß, sich von einem Teil meines bisherigen Lebens zu trennen. Es war bei mir ein langer Prozess, der über mehrere Jahre ging. Bevor ich in Eupen unterschrieben hatte, war für mich eigentlich klar, dass danach nichts mehr kommen wird. In dieser Zeit in Belgien gab es wegen Corona auch mal eine Unterbrechung von einem halben Jahr, wo wir kein Fußball gespielt haben. Da saß ich monatelang zuhause. Da bin ich mit dem Gedanken ganz aufzuhören schon schwanger gegangen. Zuletzt habe ich zwar noch etwas abgewartet – aber ich habe gemerkt, dass mich als Spieler kaum noch etwas reizt und ich ein neues Kapitel aufschlagen will. Man stirbt schon einen kleinen Tod, weil Profifußballer zu sein einen Großteil meines Lebens bestimmt hat. Aber ich bin auch der Mensch sowie der dreifache Familienvater Andi Beck und da gibt es so viel mehr als nur den Fußball.
SPORT1: Was nervt Sie heutzutage am Profifußball?
Beck: Das ist extrem schwer. Als Profi musst du manchmal sehr aufpassen, wie du dich öffentlich äußerst, weil vieles auf die Goldwaage gelegt wird. Aber die Spieler sind keine Politiker oder Pressesprecher. Sie sind Sportler. Die Problematik hat sich auch zuletzt bei den politischen Diskussionen rund um die WM gezeigt. Die Spieler analysieren Neymar, Mbappe und müssen fit sein – sich aber auch zu gesellschaftlichen und politischen Themen äußern. Das hinzubekommen und das eigene Profil zu schärfen, ist eine Kunst und Teil des Profigeschäfts. Es ist wirklich ein ganz schmaler Grat und man sieht an der Nationalmannschaft, wie schwer das manchmal fällt.
„Wahnsinn!“ – Das waren Becks größte Mitspieler
SPORT1: Welcher Mitspieler hat Sie am meisten beeindruckt?
Beck: Das war beim VfB schon Zvonimir Soldo. Er war eine absolute Persönlichkeit, ist als Kapitän stets vorangegangen und hat immer Leistung gebracht. Wenn er eine Regenjacke an hatte, mussten alle eine Regenjacke anziehen. Er hatte eine natürliche Aura und hat oft ein starkes Zeichen gesetzt. Bei ihm war nichts gespielt, er hatte eine gesunde Autorität. Das hat mich total beeindruckt. Und Fernando Meira hat den Beruf Profi auch zu 100 Prozent gelebt. Seine Art, wie er den Beruf des Fußballers definierte, hat mich auch total angesprochen. Es ging nie darum, groß zu kommandieren und das Wort zu heben, sondern durch Autoritärt und Erfahrung gewisse Dinge vorzuleben.
SPORT1: Und wer war es in Hoffenheim?
Beck: Roberto Firmino. Er hat mich am meisten überrascht. Am Anfang war ich etwas enttäuscht von ihm. Wir hatten eine schwierige Phase und brauchten Spieler, die uns sofort weiterhelfen konnten. Roberto kam für ein paar Millionen Euro und man dachte, dass es nichts wird mit ihm. Aber was dann in der täglichen Arbeit passierte, war beeindruckend – obwohl er anfangs nicht im Kader war. Aber er hat mehr gemacht im Einzeltraining und hat das Leben als Profis vorbildlich gelebt. Und plötzlich hat jeder gesehen, was aus diesem Rohdiamanten wurde. Roberto gehörte plötzlich regelmäßig zum Kader, hat dann überzeugt und wurde vom Ergänzungsspieler zu einem Superstar in der Liga. Und wechselt später für rund 40 Millionen Euro nach Liverpool. Wahnsinn!
„Gegen die Bayern war es immer eine Qual“
SPORT1: Welcher Gegenspieler war am unangenehmsten?
Beck: Gegen die Bayern war es immer eine Qual. Da muss ich nur Franck Ribéry und Arjen Robben nennen. In der Türkei war es Bruma, er spielte später bei RB Leipzig. Dann gab es immer auch Jungs, die einfach draufgegangen sind. Daniel Caligiuri oder Tobi Werner waren gegen den Ball mit die besten Spieler und sie haben auch offensiv im 1 gegen 1 fast immer gut ausgesehen. Aber je mehr Erfahrung ich hatte, desto schneller fühlte ich ein Spiel nach den ersten Aktionen. Du spielst einfach und denkst nicht mehr groß nach.
SPORT1: 2006 hat Sie Armin Veh beim VfB bei den Profis spielen lassen. Wie wichtig war er als Trainer für Sie?
Beck: Sehr wichtig. Es begann jedoch weiter vorher. Giovanni Trapattoni hatte mich zusammen mit Serdar Tasci und Sami Khedira zu den Profis hochgeholt. Der große Trapattoni holte uns in die erste Mannschaft – das war gigantisch. Armin Veh hat uns dann endgültig ins kalte Wasser geschmissen. Bis heute bin ich ihm dafür sehr dankbar. Bei ihm musste man einfach Leistung bringen. Es war eine sehr spannende Zeit. Was für mich als Stuttgarter Junge dann mit dem Meistertitel und der Champions League folgte, war unbeschreiblich schön. Ich habe in diesen Jahren viele emotionale Phasen durchlebt.
Bitterer Moment unter Löw bei der Nationalelf
SPORT1: Gab es auch einen traurigsten Moment in Ihrer Laufbahn?
Beck: Es gab einige traurige Augenblicke. Natürlich waren das die schweren Verletzungen wie mein Kreuzbandriss oder der Fußbruch. Einer meiner traurigsten Momente war auch, als ich 2010 von Joachim Löw aus dem Kader der Nationalmannschaft gestrichen wurde. Er hat mir das damals zusammen mit Hansi Flick in der Hotellobby gesagt. Das tat brutal weh und es herrschte eine große Leere. Es zerplatzte ein kleiner Traum.
SPORT1: In der folgenden Saison waren Sie dann Kapitän in Hoffenheim …
Beck: Das war gleich die nächste, große Herausforderung. So konnte ich den Frust mit der Ausbootung von Joachim Löw gut verarbeiten. Ich habe mich gleich wieder in eine neue Aufgabe reingewühlt.
SPORT1: Ein düsterer Moment waren sicher auch die Geschehnisse in Istanbul, oder?
Beck: Oh ja. Fußball ist nicht nur Entertainment, sondern es gibt auch dunkle Momente wie damals bei Besiktas. Aus dem ländlichen Hoffenheim in die Millionen-Metropole Istanbul – das war ein kleiner Kulturschock für mich. Wir gewannen nach zehn Jahren den Meistertitel und kurz danach passierte der Anschlag mit rund 60 Toten in dem Club, in dem wir den Titel-Triumph gefeiert haben. Zu meiner Zeit in Istanbul war auch der Syrien-Krieg, wo ich dachte ‚Das kann doch nicht wahr sein‘. Und trotzdem war die Zeit bei Besiktas und in Istanbul einfach unglaublich. Die Menschen dort haben uns mit offenen Armen und einer riesigen Herzlichkeit empfangen. Wir haben es als Familie dort sehr genossen. Da sind Freundschaften fürs Leben entstanden.
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Beck: Zu diesem Champions-League Verein wollte er wechseln
SPORT1: Gab es eigentlich nie Kontakt zum FC Bayern oder zu Borussia Dortmund?
Beck: Nicht konkret. Es gab immer mal Berührungspunkte mit meinem Berater, aber mehr nicht. Es gab eine andere Geschichte, die leider nicht zustande kam. Es gab konkrete Verhandlungen mit Juventus Turin und ich hätte das auch gerne gemacht. Der Vertrag lag parat. Aber dann kam diese unruhige Zeit in Hoffenheim mit dem Verkauf von Luiz Gustavo, das hat im Klub hohe Wellen geschlagen. Ich hätte mich querstellen müssen, um zu Juve wechseln zu können. Das war aber nicht mein Naturell und ich hatte Hoffenheim viel zu verdanken. Ich wurde dort schließlich Nationalspieler. Danach ist Juve gefühlt acht Mal in Folge Meister geworden. (lacht) Und ich kämpfte mit Hoffenheim gegen den Abstieg.
SPORT1: Für welchen Klub hätten Sie lieber gespielt? Bayern oder Dortmund?
Beck: (lacht) Gute Fangfrage. Bei Bayern, da hätte ich mich täglich mehr behaupten müssen, die Herausforderungen und die Chancen auf Titel wären schon größer gewesen. Ich war in der Jugend Bayern-Fan, bevor mein Herz begonnen hat, für den VfB zu schlagen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
„Rangnick und Tuchel waren nicht immer einfach“
SPORT1: Wer war Ihr anstrengendster Coach?
Beck: Anstrengend klingt so negativ. Ich hatte Trainer wie Thomas Tuchel oder Ralf Rangnick, die nicht immer einfach waren – aber nur, weil sie so viel eingefordert haben. Sie hatten damals schon den Anspruch immer besser zu werden. Beide waren extrem wichtig und gut für meine Entwicklung, ich bin ihnen sehr dankbar.
SPORT1: Was kommt jetzt bei Ihnen? Werden Sie auch erstmal TV-Experte wie viele Ex-Kollegen?
Beck: Ich verstehe die Verantwortlichen der Sender. Fußball bedient viele Perspektiven. Der Wechsel vom Spieler zum TV-Experten war doch schon immer ein normaler Prozess. Früher bei Günter Netzer oder dann bei Oliver Kahn. Wenn die Ex-Kollegen jetzt als Experten zu sehr kritisieren, ist das aber nicht meine Welt. Ich möchte diesen Weg erstmal nicht gehen. Ich werde in den nächsten Monaten sehr umtriebig sein, in verschiedene Bereiche reinschauen und dazulernen. Was aber auch wichtig ist: Ich will die Zeit nach dem Fußball genießen und für meine Familie da sein.
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