Darmstadt 98 wäre in der vergangenen Saison um ein Haar in die Bundesliga aufgestiegen. Lediglich das bessere Torverhältnis verhalf damals dem Hamburger SV zur Relegation. In dieser Spielzeit soll der Aufstieg nun gelingen und es sieht gut aus. Die Lilien stehen nach 15 Begegnungen auf Platz 1 – mit fünf Punkten Vorsprung auf Rang vier.
Trainer Torsten Lieberknecht und Sportchef Carsten Wehlmann haben eine Spitzenmannschaft geformt. Vor dem Topspiel beim 1. FC Magdeburg am Donnerstag (ab 19.30 Uhr LIVE im TV und Stream auf SPORT1) spricht Wehlmann im SPORT1-Interview über den Erfolg, Lieberknecht und zitiert Uli Hoeneß.
SPORT1: Herr Wehlmann, die Lilien haben nach 15 Spielen sechs Punkte Vorsprung vor dem vierten Platz. Können Sie uns den Erfolg in Darmstadt erklären?
Carsten Wehlmann: Das ist eine Entwicklung der vergangenen Jahre. Gerade in Verbindung mit der alten Saison, als wir nur knapp die Krönung einer hervorragenden Spielzeit verpasst haben. Der Verein und das Team haben sich toll weiterentwickelt. Daran hat natürlich Torsten (Trainer Lieberknecht, Anm. d. Red.) einen Riesenanteil. Wir sind froh, dass Torsten bei uns ist, er passt mit seinem fachlichen Know-How sowie seiner empathischen Art perfekt nach Darmstadt. Er ist mit ein entscheidender Faktor für unseren Erfolg. Wir haben zudem geschafft, eine Kontinuität in der Truppe herzustellen. Die Gruppe hat sich immer mehr gefunden.
„Das Gesamtpaket Lieberknecht überzeugt alle“
SPORT1: War die Enttäuschung des verpassten Aufstiegs etwa ein Grund für die neue Stärke?
Wehlmann: Ich würde es etwas anders formulieren: Die Enttäuschung war relativ schnell vorbei. Und die Freude über die gute vergangene Spielzeit stand dann doch im Vordergrund. Und diese haben wir in diese Runde mit reingenommen. Das Auftaktspiel war etwas holprig, aber es gibt eine hohe Qualität in der Mannschaft, sodass wir jetzt zu recht den guten Punktestand aufweisen.
SPORT1: Was macht Lieberknecht aus?
Wehlmann: Er macht von seiner grundsätzlichen Art nicht viel anders als in der vergangenen Saison – und das ist auch gut so. Er nimmt die Jungs mit seiner authentischen Art in jedem Moment mit und holt sie immer ab. Dafür steht Torsten genauso wie für seine taktischen, spielerischen Ansätze. Das Gesamtpaket Lieberknecht überzeugt alle. Er findet einen tollen Mix im Umgang mit den Spielern und schafft es, dass wir mit dem Kader unterschiedliche Systeme spielen können. Wir wurden in der alten Saison eigentlich Erste in der 2. Liga, weil Schalke, Bremen und der HSV Bundesligisten sind und wir Platz 1 der 2. Bundesliga erreicht haben. Spaß beiseite. Wir probieren einfach das Beste rauszuholen.
SPORT1: Warum steigt Darmstadt am Ende auf? (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)
Wehlmann: Es sind erst 15 Spiele vorbei, für solche Fragen ist es noch viel zu früh. Auch wenn Träumen bei den Fans natürlich erlaubt ist, wissen wir, dass wir noch sehr viel Strecke vor uns haben. Vor allem in der aktuell schwierigen Personalsituation mit unseren zahlreichen Ausfällen sind wir fast schon gezwungen, uns rein auf die nächste Partie zu konzentrieren. Wir sind uns bewusst über unsere gute Punktzahl, Wir können in Ruhe weiterarbeiten, wissen aber auch, dass noch nichts erreicht ist. Wie sagte Uli Hoeneß mal so schön? „Der Weihnachtsmann ist kein Osterhase!“
Zweitliga-Spitzenreiter Darmstadt 98 hat in der zweiten DFB-Pokalrunde für eine dicke Überraschung gesorgt und Bundesligist Borussia Mönchengladbach aus dem Wettbewerb geworfen. Matchwinner Seydel hatte nur einen kurzen Auftritt.
„Wir bremsen überhaupt keine Euphorie“
SPORT1: Aber kann man nicht auch in Ruhe weiterarbeiten, wenn man etwas Euphorie zulässt?
Wehlmann: Die Fans dürfen natürlich immer unabhängig vom Zeitpunkt träumen. Wir bremsen überhaupt keine Euphorie, sondern lassen sie zu. Wir wollen die Fans mit unserem Fußball begeistern und tun gut daran, unsere Arbeit so weiter zu machen wie bisher. Die Jungs haben eine Riesen-Vorfreude auf jedes Spiel.
SPORT1: Aber wenn der Verein auf einem Aufstiegsplatz überwintert, können Sie doch das Thema Aufstieg nicht wegreden.
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Wehlmann: In der vergangenen Saison und auch in den Spielzeiten davor hat man gesehen, dass Teams, die auf einem Aufstiegsplatz überwintern, nicht zwingend auch im Mai dort stehen müssen. Klar ist aber: Wir sind uns der aktuell guten Punktzahl natürlich bewusst und sind grundsätzlich auch ambitioniert unterwegs.
Ausbildungsverein Darmstadt: „eine gute Adresse für Fußballer geworden“
SPORT1: Sie haben in St. Gallen mal verschiedene Kurse im Bereich Verhandlungen absolviert. Sie haben also ein gutes Verhandlungsgeschick?
Wehlmann: Es war das Studium Sportmanagement und da war Verhandlungen ein inhaltlicher Block. Gutes Verhandlungsgeschick? Das müsste man die Personen fragen, die mit mir am Tisch saßen. (lacht) Wir wollen Spieler von Darmstadt 98 begeistern. Sie sollen den Weg mit uns für längere Zeit gehen. Das war bei Vertragsverlängerungen so und auch bei Neuverpflichtungen. Darmstadt ist eine gute Adresse für Fußballer geworden. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)
SPORT1: Warum ist das so?
Wehlmann: Ganz einfach, wir haben ein ruhiges Umfeld und Spieler wie Tim Starke, der im Sommer zu Union Berlin wechselte oder Luca Pfeiffer, der zum VfB Stuttgart ging, haben sich bei uns toll entwickelt. Man sieht, dass Spieler in Darmstadt die nächsten Schritte machen können. Auch andere Jungs haben sich bei uns für höhere Aufgaben empfohlen und das spricht für unseren Verein. Aber natürlich gehört ein gewisses Verhandlungsgeschick dazu. (lacht) Manchmal mehr von der emotionalen als von der finanziellen Seite.
Vom Underdog zur Spitzenmannschaft
SPORT1: Sie haben die finanziellen Möglichkeiten angesprochen. Macht man sich aber in Darmstadt nicht etwas klein?
Wehlmann: Überhaupt nicht. Was das Sportliche angeht, wollen wir uns gar nicht kleiner machen. Wir sind absolut ambitioniert und das zeigen auch die Endplatzierungen in den zurückliegenden Jahren. Finanziell sind wir aber leider mit anderen Mitteln unterwegs als andere Vereine in der Liga. Da befinden wir uns beim Etat im Mittelfeld. Das tut uns aber gar nicht weh. Die Jahre in der Bundesliga wurden dazu genutzt, infrastrukturelle Themen voranzutreiben wie das neue Stadion oder die Trainingsplätze. Da hat sich einiges getan in Darmstadt und es wurde nicht nur in Beine, sondern vor allem auch in Steine investiert. Und davon profitiert auch der sportliche Bereich.
SPORT1: Als Lieberknecht kam, war er vorher ohne Job. Wieviel Verhandlungsgeschick war da nötig?
Wehlmann: Gar nicht so viel. Wir haben einmal telefoniert und am nächsten Tag war Torsten schon in Darmstadt. Und in dem Gespräch hat man bereits seine Begeisterung für die Lilien gespürt. Die war dann auch von unserer Seite für ihn da. Torsten hat uns gleich überzeugt. Ich habe gemerkt, dass das passen könnte.
SPORT1: Ist er ein Glücksfall für die Lilien?
Wehlmann: Absolut. Wir sind total zufrieden mit seiner Arbeit. Das zeigt ja auch die Tatsache, dass wir seinen Vertrag vorzeitig bis 2025 verlängert haben. Ich hoffe, dass er noch lange bei uns bleibt.
SPORT1: Am Donnerstag geht‘s nach Magdeburg. Die Lilien sind Favorit. Ist das gefährlich?
Wehlmann: Wenn man weiß, gegen wen Magdeburg die Spiele zuletzt gewonnen hat, dann wissen wir um die Schwere der Aufgabe. Sie haben gegen den HSV und Nürnberg gewonnen und gegen Heidenheim Unentschieden gespielt. So wenig wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei uns auf die Platzierung schauen, genauso wenig machen wir das bei den Platzierungen unserer Gegner. Wir müssen höllisch aufpassen und wissen, was auf uns zukommt. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)
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nCAPTION: Hamburger SV – 1. FC Magdeburg (2:3): Tore und Highlights | 2. Bundesliga
nDESCRIPTION: In einem wilden Fußballspiel holt Magdeburg drei Punkte beim Hamburger SV. Für FCM-Trainer ist Christian Titz ist es eine gelungene Rückkehr an die alte Wirkungsstätte.
„Trapp hat aufgeholt“
SPORT1: Ihre erste Amtshandlung als Sportlicher Leiter der Lilien war es 2019 Dimitrios Grammozis als neuen Trainer für die Lilien zu verpflichten. Er war ein ähnlicher Glücksgriff wie Lieberknecht. Grammozis wollte später aber nicht verlängern, wechselte zu Schalke und ist heute ohne Job. Wie sehr fühlen Sie damit?
Wehlmann: Dass er bei Schalke einen Vertrag unterschreiben konnte, sprach für seine Arbeit bei uns. Wir hätten damals gerne mit ihm verlängert. Leider hat das dann nicht funktioniert und Dimi ist einige Monate später zu Schalke gewechselt. Da hat er meiner Meinung nach auch einen ordentlichen Job gemacht (Nach 3:4 gegen Rostock: Schalke trennt sich von Trainer Grammozis). Mir tut es immer leid, wenn frühere Weggefährten ohne Job sind – unabhängig von der Branche. Ich bin jemand, der grundsätzlich den Weg von Personen verfolgt, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Auch seinen Weg werde ich weiter verfolgen und wünsche ihm alles Gute.
SPORT1: Letzte Frage: Sie waren früher Torwart, unter anderem beim HSV. Wie beurteilen Sie vor der Weltmeisterschaft in Katar die Situation im deutschen Tor?
Wehlmann: Manuel Neuer ist die Nummer 1. Er ist immer noch einer der weltbesten Torhüter. Aber die Dichte hinter ihm ist enger geworden. Kevin Trapp etwa hat top Leistungen gezeigt und aufgeholt. Er stand durch die Erfolge von Eintracht Frankfurt natürlich mehr im Fokus. Neuer ist nicht schlechter geworden, aber andere deutsche Torhüter haben noch mal einen Sprung gemacht.