Es waren große Fußstapfen, in die Michael Köllner da treten musste. Und jetzt ist der 52-Jährige schon in seinem dritten Jahr Trainer beim TSV 1860 München. Am vergangenen Spieltag feierte er mit dem 100. Spiel ein Jubiläum. Für viele Fans war das einst nicht denkbar.
Nach zwölf Jahren im Verein bat im Herbst 2019 Löwen-Legende Daniel Bierofka aus persönlichen Gründen um die Auflösung seines Vertrags. Es war damals ein tränenreicher Abschied.
Vor dem Spiel bei Viktoria Berlin (Fr., ab 19 Uhr im LIVETICKER) spricht Köllner im SPORT1-Interview über die Situation bei Sechzig, den Absturz von Türkgücü München und die Trennung von Sascha Mölders.
SPORT1: Herr Köllner, Sie hatten am vergangenen Spieltag das 100. Spiel als Trainer von 1860 München. Was sagen Sie dazu?
Michael Köllner: Ich wusste das gar nicht, aber es freut mich natürlich. Das ist eine große Ehre für mich, schon so lange als Trainer bei diesem großen, traditionsreichen und emotionsgeladenen Verein arbeiten zu können. Ich fahre jeden Tag gerne zum Trainingsgelände und jedes Spiel fühlt sich immer noch besonders an. Es ist eine schöne Geschichte, um nicht zu sagen, eine kleine Liebesbeziehung zwischen Sechzig und mir. (DATEN: Die Tabelle der 3.Liga)
SPORT1: Hätten Sie das damals gedacht? Immerhin kamen Sie als Nachfolger von Löwen-Legende Daniel Bierofka. Dieser hatte einen tränenreichen Abschied.
Köllner: Bei meinem Antritt war es mir wichtig, dass der Verein einen nachhaltigen, langfristigen Plan verfolgt. Nur mit Kontinuität kann man etwas erreichen. Für mich war auch immer wichtig, ein Trainer für alle bei 1860 zu sein. Das ist mir bisher glaube ich ganz gut gelungen und ich freue mich, dass ich den Verein auf einen gemeinsamen Kurs bringen konnte.
SPORT1: Gab es in den 100 Spielen einen positivsten und negativsten Moment?
Köllner: Das ist schwer. Im Profifußball erlebt man so viel und es passiert ständig etwas um einen herum. Ich fühle mich oft wie auf einem Karussell. Ein positives Erlebnis nach der Zeit von Bierofka war mein erstes Spiel mit meiner neuen Mannschaft im Grünwalder Stadion – ausgerechnet gegen Bayern München II. Vor dem Spiel sagte Stadionsprecher-Legende Stefan Schneider zu mir: „Du musst dir keine Sorgen machen. Die Fans stehen jetzt schon hinter dir.“ Dann bin ich rausgegangen und habe von den Fans einen richtig warmen Empfang bekommen. Da wusste ich, es war die richtige Entscheidung, nach München zu gehen.
Köllner: „Ich bin stolz…“
SPORT1: Aber es war verwunderlich, dass die Fans Sie nach Bierofka so angenommen hatten. Oder?
Köllner: Schon. Die Fußstapfen von Bierofka waren sicherlich groß. Aber für mich war klar, dass ich bei Sechzig eigene Fußstapfen hinterlassen will. Ich bin stolz, bei diesem Verein Trainer zu sein. Man muss sich nur mal die Vergangenheit anschauen, da waren Trainer wie Max Merkel, Karsten Wettberg, Werner Lorant oder eben Bierofka. Das waren Trainer-Persönlichkeiten mit einem gewissen Charisma, die eine Erfolgs-Ära geprägt haben. Und deshalb war für mich klar, dass der Trainer bei 1860 etwas zählt, dass es auf ihn ankommt und dass er den Erfolg sicherstellen muss. Aber dass ich vom ersten Tag an so gut empfangen werde, hätte ich nicht gedacht. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 3. Liga)
SPORT1: Wie sehen Sie Ihre Entwicklung als Trainer? 1860 ist erst Ihre zweite Profistation.
Köllner: Ich hoffe, dass ich mich stetig weiterentwickeln kann. Das, was man von seinen Spielern verlangt, sollte man auch selber leisten. Bei 1860 München habe ich den einen oder anderen Entwicklungsschritt vollzogen und bin auch froh darüber. Im Leben geht es für mich immer drum, dazuzulernen. Nicht nur im Privatleben, sondern auch im Job. Das passiert in jedem Training, in jedem Gespräch und mit jeder Entscheidung, die man trifft. Es ist wichtig, immer mal wieder einen Schritt zur Seite zu treten und zu reflektieren. Ich bin an einem regelmäßigen Austausch mit Kollegen interessiert, nutze die regelmäßige Unterstützung eines Führungskräfte-Coaches, gehe gerne auf Kongresse und lese extrem viel Fachliteratur zu bestimmten Themen.
Köllner: „Das hat mir in der Phase sehr geholfen“
SPORT1: Sie haben vor einem Jahr Ihren Vater verloren, waren aber weiter im Job tätig? Woher haben Sie die Kraft genommen?
Köllner: Der Verlust eines lieben Menschen in der Familie ist immer schwierig. Aber ich sehe das immer von zwei Seiten. Das Leben auf der Erde verfolgt einen bestimmten Sinn. Und wenn dieser erfüllt ist, kriegt man eine neue Aufgabe. Ich sehe es daher nicht als so schlimm an, wenn ein Mensch stirbt. Für meine Mutter und meine Geschwister, die im direkten Umfeld leben und eine andere Sicht haben, war es wesentlich härter. Ich konnte mich im Job ablenken und komme durch den Fußball ohnehin nicht so oft Hause, habe also kein tägliches Zusammenleben mit meinen Eltern. Das tägliche Leben in München und meine Spieler haben mir in der Phase sehr geholfen, die Trauer zu überwinden.
SPORT1: Kommen wir zur sportlichen Situation. Ihre Mannschaft hat sich still und leise auf Rang fünf rangerobbt Wie sehr glauben Sie an den Aufstieg? (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 3. Liga)
Köllner: Ich glaube grundsätzlich an ein positives Ergebnis meiner Mannschaft. Was am Ende dabei rauskommt, kann ich jetzt nicht sagen. Den Aufstieg auszurufen, wäre das falsche Zeichen. Es liegt nicht mehr in unserer Hand. Wir wollen die nächsten Spiele positiv gestalten. Das haben wir mit den drei Siege in der englischen Woche super hinbekommen. Unser Ziel bleibt erstmal, dass wir eine bessere Rückrunde als Hinserie spielen wollen. Es sind noch neun Spiele und wir wollen weiter performen. Wenn wir auf der Zielgeraden die ersten drei Teams vor uns nicht mit dem Fernglas sehen müssen, dann macht das Saison-Finale nochmal richtig Laune.
Mölders-Abschied: „Es hat mir leidgetan“
SPORT1: Sascha Mölders verließ für viele Fans überraschend den Verein. Was ist wirklich passiert?
Köllner: Es war schon überraschend. Wir haben Sascha sehr viel zu verdanken, er hat für die Löwen in meiner Zeit Großes geleistet. Wir haben es geschafft, dass er den Spaß am Fußball wiedergefunden hat. Er hat im vergangenen Jahr eine phänomenale Saison gespielt. Aber in dieser Runde sind die Vorstellungen, wie seine Rolle ist, auseinandergegangen. Und am Ende mussten wir eine Entscheidung treffen. Es hat mir leidgetan, dass wir uns von Sascha trennen mussten, aber am Ende lagen seine und meine Vorstellung deutlich auseinander.
SPORT1: War er am Ende zu schwierig für Sie?
Köllner: Nein. Wir haben bis zum Schluss ein gutes Verhältnis gehabt. Aber Sascha hat seine Vorstellung von seiner Rolle in der Mannschaft gehabt, ich habe meine Vorstellung gehabt, wie ich seine Rolle sehe. Und wenn die Vorstellungen nicht zusammenkommen, stehen die Zeichen immer auf Trennung. Ich bin Sascha ewig dankbar, was er in meiner Zeit für die Mannschaft geleistet hat. Ich drücke ihm die Daumen, dass er den Sprung zum Trainer super hinbekommt.
Der König der Löwen hat aufgebrüllt. Wir haben noch einmal die Top-5-Szenen von Sascha Mölders beim TSV 1860 München.
Türkgücü-Absturz: „Da stehen Existenzen auf dem Spiel“
SPORT1: Was sagen Sie zum Absturz Ihres Stadtrivalen Türkgücü München? Das Ende naht dort…
Köllner: Das ist für die Spieler und Mitarbeiter im Verein ganz bitter. Das wünsche ich keinem. Da stehen Existenzen auf dem Spiel und es ist eine grausame Situation. Aber ich weiß nicht, wo das ganze Dilemma angefangen hat, auch wenn wir Stadtnachbarn sind.
SPORT1: Zeigt das Beispiel Türkgücü wieder mal, wie gefährlich ein Investor sein kann?
Köllner: Es zeigt grundsätzlich, dass die Bedeutung der wirtschaftlichen Kraft im Fußball noch immer weiter zunimmt. Ein Verein ohne einen Investor wird auch gewaltige Probleme bekommen, wenn er den Hauptsponsor verliert. Oder wenn die Fernsehgelder einbrechen. Der Profifußball ist am Ende von hohen Erlösen stark abhängig. Die wirtschaftliche Fähigkeit eines Klubs hat eine große Wirkung. Deshalb muss man aufpassen, dass man die Finanzen immer im Blick hat. Ich habe bei Sechzig nie laut Spieler gefordert, sondern kenne den finanziellen Rahmen des Vereins. Und am Ende versuchen wir, innerhalb dieses Rahmens das Beste zu geben.
SPORT1: Wie ist Ihr Kontakt zum Löwen-Investor Hasan Ismaik?
Köllner: Wir schreiben uns hin und wieder. Aber wir haben uns noch nicht treffen können, das lag auch an Corona und ist schade. Ich hoffe, dass ein Treffen mit Herrn Ismaik demnächst mal zustande kommt. Mich hat es sehr gefreut, dass sein Bruder gegen Zwickau und Kaiserslautern im Stadion war.
SPORT1: 1860 wäre Nutznießer, wenn Türkgücü den Spielbetrieb vorzeitig einstellen müsste (dann würden die Löwen Punkte gutmachen, Anm. d. Red.). Was macht das emotional mit Ihnen?
Köllner: Damit beschäftige ich mich nicht. Das ist ein Thema, das wir nicht beeinflussen können. Da ist Sache des DFB. Unser Fokus gilt den verbleibenden Spielen. Denn es wird uns nichts nutzen, wenn sich Türkgücü aus dem Spielbetrieb verabschiedet und wir kein einziges Spiel mehr gewinnen würden. Die Spieler von Türkgücü tun mir schon leid. Ich kenne einige Jungs gut wie Tim Rieder, Törles Knöll oder Rene Vollath. Ich wünsche es keinem, dass während der Saison der Stecker gezogen wird.