Trafford. Der Name ist im englischen Fußball unweigerlich mit dem altehrwürdigen Stadion von Manchester United, dem „Old Trafford“, assoziiert. Bis zum 08. Juli 2023.

Da brachte sich Manchester City, der Stadtrivale, mit dem „Young Trafford“ auf die Landkarte. Der Spitzname gilt einem 20 Jahre alten Torhüter, der zuletzt anderthalb Jahre vom englischen Meister in die dritte Liga ausgeliehen war – James Trafford.

Dieser blieb nicht nur im EM-Finale der U21 Englands gegen Spanien beim 1:0-Sieg ohne Gegentor, sicherte somit den ersten englischen Titel der Jugendauswahl seit 39 Jahren, nicht nur parierte er in der Nachspielzeit (99. Minute) einen Elfmeter samt Nachschuss – auch blieb er erstmals in der Turnierhistorie in allen sechs Spielen ohne auch nur einen einzigen Gegentreffer!

Der 20-Jährige steht bei den Skyblues unter Vertrag, seitdem er 12 Jahre alt ist. Früh wurde sein Talent erkannt und gefördert. Dass er nun, nicht zuletzt durch seine exzeptionellen Leistung bei der U21-EM, auf die große Fußballbühne der Premier League drängt, dürfte sich auch weit über den Stadtrivalen hinaus herumgesprochen haben.

Trafford: „In meiner Familie macht niemand etwas anderes als Landwirtschaft“

Trafford stammt aus Greysouthen in der Grafschaft Cumbria im Nordwesten Englands. Die raue irische See begrenzt das Festland auf der Westseite. Auf einer Farm ist er aufgewachsen, das Grün seit jeher sein Zuhause.

„In meiner Familie macht niemand etwas anderes als Landwirtschaft, abgesehen von meinem älteren Cousin, der Zahnarzt ist, und selbst das war ein bisschen verpönt! Er hätte entweder Landwirt oder Jockey werden sollen, und bei mir war es ähnlich“, erzählte er einst der englischen Medienlandschaft.

Die Eltern stünden alle drei Stunden auf, um die Schafe zu zählen, für Fußball bleibt da wenig Platz. Doch der Sohnemann verfolgte seinen Traum, und die Eltern bekamen sein Talent zu spüren. Er konnte nicht mehr mithelfen in der freien Zeit, die Jugendakademie in Manchester wartete.

Und mit dorthin brachte Trafford seine Arbeitsmoral von der Farm. „Harte Arbeit und Disziplin wurden mir von klein auf eingebläut“, betonte er einst.

Genau diese Arbeitsethik hätte ihm das Torwarttrainer-Team von Manchester City auch noch einmal speziell einimpfen wollen, als er sich durch die Jugendmannschaften arbeitete – das Gefühl eines professionellen Sportlers, jeden Tag da zu sein, ob man Lust hat oder eben auch mal nicht.

Auch mit Pep Guardiola verbindet Trafford bereits eine lustige Anekdote. Nach einem Training 2020 forderte der Star-Trainer seinen jungen Keeper heraus, einen seiner Elfmeter zu halten. Der Youngster sagte: „Ich scherze gerne ein bisschen, und Pep hat einen Elfmeter geschossen und gesagt: ‚Du kannst alles haben, was du willst, wenn du ihn hältst‘.“

Das ließ sich Trafford nicht zweimal sagen: „Ich fragte: ‚Kann ich am Wochenende anfangen?‘“ Zwar hielt Trafford den Elfmeter tatsächlich, doch der Spanier lachte nur – und ließ ihn doch nicht auflaufen.

Zu Saisonbeginn der Saison 2021/22 an den englischen Drittligisten Accrington Stanley verliehen, folgte eine weitere Leihe in die dritte Liga zu den Bolton Wanderers. Dort verbrachte er die vergangenen eineinhalb Jahre. Alleine in der abgelaufenen Saison riss er 52 Spielen wettbewerbsübergreifend ab, führte sie bis auf Platz fünf der Tabelle und gewann mit Bolton die EFL Trophy. Bezeichnend: In seinen vier Einsätzen in dem Pokalwettbewerb, darunter auch das Finale, kassierte er nicht einen Gegentreffer.

In den Aufstiegsplayoffs zur zweiten Liga unterlagen die Wanderers im Halbfinale allerdings Barnsley – mit zwei Gegentoren in zwei Spielen. Seit dem 1. Juni ist Trafford nun wieder offiziell Spieler von Manchester City.

Deutschland verliert drittes Gruppenspiel gegen England

Mit der englischen U21-Auswahl galt er als Mitfavorit vor der Europameisterschaft, und der 1,92-Meter-Mann sollte dem Druck standhalten. Nicht nur kegelte er mit seinen Vorderleuten die deutsche U-Auswahl im dritten Turnierspiel aus dem Turnier, auch war er bis ins Finale nicht einmal überwunden worden.

Und das Finale sollte ein drehbuchreifes Skript liefern:. England führte 1:0, der VAR Christian Dingert sagte den Spaniern in der Nachspielzeit einen Elfmeter zu, die Verlängerung drohte.

„Ich habe heute Morgen allen gesagt, dass ich einen Elfmeter halten werde, und das ist passiert. Wir sind eine großartige Mannschaft und haben immer daran geglaubt, dass niemand gegen uns ein Tor schießen würde“, hatte Trafford allerdings schon versprochen, wie er dem TV-Sender Channel 4 mitteilte – und hielt sein Wort.

Nicht nur erahnte er die Ecke beim Schuss von Abel Ruiz, geteilt bester Torschütze des Turniers, auch den Nachschuss hielt er geistesgegenwärtig. In einer bereits mit Premier-League-Stars gespickten Mannschaft um Liverpool-Talent Curtis Jones, der MVP des Finales wurde, oder Anthony Gordon von Newcastle reichte es allerdings trotz der phänomenalen Torhüterleistung nicht zum Spieler des Turniers.

Die Auszeichnung gewann Letzterer und dachte trotzdem an seinen Rückhalt: „Er war unglaublich. Ich habe noch nie mit meinen eigenen Augen gesehen, wie ein Torhüter eine solche Leistung gezeigt hat.“ Trafford wurde immerhin zum besten Torhüter des Turniers auserkoren.

Das sah sich wohl auch die Scoutingabteilung des FC Burnley mit Wohlgefallen an. Der Tabellensechste der Premier League liebäugelt mit einem Transfer von Trafford. Dass nach Medienberichten der BBC allerdings zwischen 17 und 22 Millionen Euro fällig werden könnten, zeigt schon das enorme Interesse des Marktes. Auch Guardiola weiß natürlich um das Potenzial seines Torwart-Juwels, will sich nach Medienberichten eine Rückkaufklausel sichern.

Trafford vor Wechsel in die Premier League?

Nur zweimal in der Geschichte waren englische Keeper teurer: Jordan Pickford bei seinem Wechsel zum FC Everton, heute Nationalkeeper. Und Aaron Ramsdale, seines Zeichens Stammkeeper beim Vizemeister vom FC Arsenal.

Prophezeiungen verheißen Großes. Trafford soll zum nächsten erfolgreichen englischen Torhüter heranreifen, in der Premier League, auch langfristig in der Nationalmannschaft das vermeintliche Problem auf der Position beheben.

Doch bis dahin wird Trafford erst einmal auf dem heimischen Hof Nachhilfe leisten müssen: „Ich muss meinem Vater immer noch ein paar Dinge erklären, wie zum Beispiel die Abseitsregel, weil er nicht wirklich viel über Fußball weiß …“

Studierte von 2019-2023 in München Journalistik mit Vertiefung Sportjournalismus. Fand über ein halbjähriges Praktikum im Sportressort der Süddeutschen Zeitung zu SPORT1. Begann dort im November...