Wie erreicht ein Verantwortlicher seine Mitstreiter am besten? Mit einer Prise Euphorie, viel Leidenschaft und guten Ideen.

Hannes Wolf, am Sonntag zu Gast im STAHLWERK Doppelpass, wurde von DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Rudi Völler, Direktor Nationalmannschaft, als neuer Sportdirektor „Nachwuchstraining und Entwicklung“ am Campus in Frankfurt präsentiert. Der 42-Jährige, der unter anderem beim VfB Stuttgart, Hamburger SV, Bayer Leverkusen und in der Nachwuchsabteilung von Borussia Dortmund viel Erfahrung auf höchster Ebene sammeln konnte, sprühte bei seiner Vorstellung förmlich vor Tatendrang.

Wolf erkennt die Defizite: „In der Spitze fehlt die Breite“

Er legte zunächst den Finger in die Wunde: „England und Frankreich haben viermal so viele Jugendspieler, die im Profibereich eingesetzt werden.“ Auch Belgien sei ein gutes Beispiel für eine starke Nachwuchsförderung. Wolf bemängelte insgesamt: „Uns fehlt in der Spitze die Breite.“ Um daran wieder etwas zu ändern, hat er sich ein Kompetenzteam zusammengestellt.

Neben der erfahrenen Größe Hermann Gerland tummeln sich viele „junge Wilde“ in diesem erlesenen Kreis: Sandro Wagner, die Bender-Zwillinge Lars und Sven, Hanno Balitsch U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo, Daniel Stredak und die Ex-Fußballerinnen Sabine Loderer, Lena Lotzen und Nikola Ludwig.

Das Ziel ist klar gesteckt, der Nachwuchs muss gefördert werden. Der deutsche Fußball erlebte zuletzt viele Enttäuschungen: Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Katar, Vorrunden-Aus bei der U21-Europameisterschaft und Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft der Frauen. Um den Turnaround zu packen, müssen die Reformer an vielen Stellschrauben drehen und verkrustete Strukturen aufbrechen.

Wagner hat die Spielvereinigung Unterhaching nach dem Aufstieg in die 3. Liga bewusst verlassen und widmet sich voll und ganz der Aufgabe beim DFB. „Das ist keine Raketenwissenschaft“, stellte der frühere Profi klar. Wagner wurde unter Gerland ausgebildet und erlebte aus nächster Nähe mit, wie Thomas Müller, Mats Hummels oder Toni Kroos den Schritt nach ganz oben gegangen sind. Aus diesen Erfahrungswerten kann er speisen.

Wagners Lebenslauf ein Musterbeispiel dafür, was mit Mentalität möglich ist

Sein Lebenslauf ist auch deshalb spannend, weil es nicht nur bergauf ging. Zwischen dem Doppelpack im U21-EM-Finale 2009 und dem Wechsel zum FC Bayern München lagen am Ende achteinhalb Jahre. Wagner ist ein Musterbeispiel dafür, was mit Mentalität und einem langen Atem möglich ist.

Balitsch nannte einen weiteren entscheidenden Aspekt. Man habe sich damals im Training vor allem um sich selbst gekümmert und an den eigenen Stärken trainiert. Inzwischen nahmen, so rechnete es Wolf vor, Gegneranalysen bis zu 150 Minuten der Trainingswoche in Anspruch. Zudem kritisierte er den Aufbau von Einheiten, in denen einzelne Mannschaftsteile kaum an den Ball kämen und somit nicht in direkte Zweikämpfe kämen.

Mit den „jungen Wilden“ zurück in die Weltspitze?

Wolf wiederholte stets den für ihn elementaren Begriff Basics. Nur, wer dieses ABC des Fußballs beherrsche, der könne am Ende auch ganz oben ankommen und sich behaupten. Der Gedanke der neuen Nachwuchs-Liga, die die Bundesligen ab der Saison 2024/25 ablösen wird, liegt deshalb auf der Ausbildung und weniger auf den Ergebnissen.

Final geht es zwar um den Titel, doch die Abstiegsangst soll nicht mehr Aufstellungen diktieren und Entwicklungen von Jugendlichen verhindern. Im aktuellen System kämpft beinahe die Hälfte der Liga um den Gang in jeweilige Oberliga, in der Talente dann kaum Anreize haben. Mit „jungen Wilden“ also zurück in die Weltspitze?

Wolf will sich nicht auf ein Datum festlegen, wann es so weit sein könnte. Er sieht allerdings enorm viel Potenzial im Land, welches wieder geweckt werden muss. Dafür warf Wolf Folien an die Wand, die aufgezeigt haben, worauf es bei der Förderung ankommt: „Freude, Intensität und Wiederholung!“

Ein Beispiel: Jugendliche kommen bei einer Trainingseinheit von netto 32 Minuten in einem Spiel 7 gegen 7 jeweils auf 50 Ballaktionen und Entscheidungen. Bei einem 3 gegen 3 wären es in diesem Zeitraum 200 Ballaktionen und Entscheidungen. Zudem erhöht sich die Anzahl der Torschüsse und Zweikämpfe drastisch.

Effenberg kritisierte Reform: „Abstieg macht den Reiz aus“

Kritische Worte an diesen Reformen gab es häufig, auch SPORT1-Experte Stefan Effenberg sagte: „Der Abstieg macht ja gerade den Reiz in der dritten, zweiten und ersten Liga aus. Das muss in meinen Augen ein fester Bestandteil bleiben. Und spätestens ab der U17 müssen die Spieler genau das gelernt haben.“ Die Ideen jetzt lösen sich von dieser Denke.

Ob in Zukunft tatsächlich wieder Toptalente in großer Menge, so wie in den Jahren 2006 bis 2014, ganz oben auftauchen? Daran werden Wolf und seine „jungen Wilden“ hart arbeiten.