Rodolfo Esteban Cardoso hat die Bilder noch im Kopf.

Der 45-Jährige gehörte einst zur legendären Elf des SC Freiburg, die in der Saison 1994/95 nur ein Jahr nach dem Bundesliga-Aufstieg unter anderem durch einen 5:1-Heimsieg gegen den FC Bayern begeisterte und am Ende sensationell auf Platz drei landete.

Cardoso gelangen damals 16 Tore in 30 Spielen. Insgesamt erzielte er in 220 Bundesligaspielen 47 Treffer.

Nach seiner Karriere als Spieler wurde er Trainer, war beim Hamburger SV zuerst für die U 19 zuständig und arbeitete als Co-Trainer sowie als Interimscoach bei den Hanseaten.

Zuletzt betreute er die U 23 des HSV.

Als ehemaliger argentinischer Nationalspieler fiebert er natürlich dem WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien (So., ab 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) im besonderen Maße entgegen.

Zuvor ist Cardoso zu Gast im WM-Doppelpass (So., ab 11 Uhr LIVE im TV auf SPORT1).

Im SPORT1-Interview spricht er zudem über die Gauchos, Lionel Messi und die DFB-Elf.

SPORT1: Herr Cardoso, ist einem als Argentinier nicht Angst und Bange, wenn man an die 7:1-Galavorstellung der Deutschen im Halbfinale gegen Brasilien denkt?

Rodolfo Cardoso: Könnte man meinen (lacht). Angst nein, Respekt ja. Die Deutschen haben sich diesen Respekt erarbeitet – und das nicht nur bei dieser WM. In den letzten Jahren hat sich diese Mannschaft in der ganzen Welt wieder einen Namen gemacht, und das hat man gegen Brasilien gesehen. Die Selecao war zwar schwach, aber sieben Tore schießt man nicht jeden Tag.

SPORT1: Die DFB-Elf hat mit dem Spiel gegen die Selecao Geschichte geschrieben. Was macht sie so stark?

Cardoso: Man tritt als Einheit auf. Die Spieler kennen sich schon lange und verstehen sich fast blind. Da gibt es die Bayern-Spieler wie Müller, Kroos, Lahm, Neuer und Schweinsteiger, die im selben Klub spielen und das macht sehr viel aus. Dazu kommen noch vier Dortmunder. Da hat es ein Trainer dann wesentlich leichter. Löw macht das seht intelligent mit der Bayern-Achse. Deshalb ist Deutschland so stark. Das ist ein Team, das geschlossen auftritt. Das Spiel gegen Brasilien hat sie schon unsterblich gemacht.

SPORT1: Ist der Respekt jetzt besonders groß?

Cardoso: Wir haben vor jedem Gegner Respekt. Die Deutschen waren die letzten Turniere gegen Argentinien sehr erfolgreich und deswegen nimmt man Deutschland sehr ernst. Am Sonntag geht es um Leben und Tod, es wird ein Spiel um Blut und Ehre. So wie die Deutschen diesen goldenen Pokal haben wollen, so haben auch die argentinischen Spieler diesen Gedanken im Kopf. Ich denke, dass dieses Finale für beide Seiten nicht so einfach wird.

SPORT1: Auch für Sie ist es nicht ganz einfach. Schlagen am Sonntag zwei Herzen in Ihrer Brust?

Cardoso: Nein. Mein Herz schlägt für Argentinien. Ich bin zwar schon lange in Deutschland, aber meine Familie und ich sind durch und durch Argentinier. Das ist gar keine Frage. Ich drücke meinem Land die Daumen. Wenn Deutschland im Endspiel gegen ein anderes Land spielen würde, dann wäre ich für die Deutschen (lacht). Aber nicht am Sonntag.

SPORT1: Was sind die Stärken und Schwächen von Argentinien?

Cardoso: Alarmstufe Rot herrscht immer bei Messi. Er war zuletzt etwas schwächer, aber ihm werden auch immer drei Gegenspieler auf die Füße gestellt. Das ist nicht so einfach. Messi ist in der Lage, mit nur einer Aktion ein Spiel zu entscheiden. Das weiß die ganze Welt. Deutschland muss auf ihn aufpassen. Messi alleine hat uns durch die Gruppenphase geführt, war mit seinen Aktionen der entscheidende Mann und hat uns ins Achtelfinale geschossen.

SPORT1: Worauf müssen die Deutschen achten?

Cardoso: Es spielt nicht Deutschland gegen Messi. Auch Higuain hat zuletzt getroffen und stark gespielt. Argentinien ist bei Standards brandgefährlich, weil vorne große Spieler sind. Da muss Deutschland aufpassen, obwohl man nach dem 7:1 mit ganz viel Selbstvertrauen in das Finale gehen wird.

SPORT1: Gibt es einen deutschen Spieler, vor dem die Argentinier besonderen Respekt haben?

Cardoso: Vor dem Holland-Spiel wusste unsere Mannschaft um die Ausnahmestellung von Arjen Robben und hat ihn ganz gut in den Griff bekommen, aber die Deutschen sind als Kollektiv in einer sehr guten Verfassung. Da ist jeder gefährlich. Aber mir gefällt etwas bei Argentinien.

SPORT1: Nämlich?

Cardoso: Man verliert nie die Ordnung, hat ein taktisches Grundkonzept und hat sich bei dieser WM von Spiel zu Spiel gesteigert. Das macht mir Hoffnung, dass Argentinien am Sonntag gewinnen kann, unabhängig von der starken Leistung der Deutschen gegen Brasilien. Trotz des 7:1 sollten sie sich nicht zu sicher sein, hatten gegen Ghana und Algerien auch ihre Schwierigkeiten.

SPORT1: Das Finale ist die Neuauflage des Endspiels von 1990. 2010 war Diego Maradona Trainer. Wie sehen Sie den aktuellen Trainer Alejandro Sabella und was ist anders als früher?

Cardoso: Sabella hat großen Anteil am aktuellen Erfolg. Er ist der Kopf dieser Mannschaft. Nicht nur Messi. Der Trainer analysiert die Gegner sehr genau, kümmert sich bis ins kleinste Detail um die Spielvorbereitung und weiß, wie die anderen Mannschaften spielen. Das ist der Unterschied zu früher. Wir gucken nicht nur auf uns und sagen, dass wir gute Spieler haben und jeden weghauen können, sondern wir interessieren uns auch für die Gegner. Argentinien ist etwas devoter geworden. Das Finale ist der Verdienst von Sabella.

SPORT1: Können Sie ihn und Löw mal vergleichen?

Cardoso: Für Löw ist es die dritte WM. Er kennt die Spieler schon lange und macht seit Jahren einen guten Job, weil er kontinuierlich arbeiten konnte. Sabella ist seit 2011 Trainer von Argentinien und musste von Anfang an mit Problemen leben. Er ist sehr bescheiden und hat die Mannschaft auf seinen Weg gebracht, hat einen Tevez rausgeschmissen, als das ganze Land seinen Einsatz gefordert hat. Vor Sabella ziehe ich den Hut.

SPORT1: Wo werden Sie bei einem möglichen Titelgewinn Argentiniens ihren Gefühlen freien Lauf lassen?

Cardoso: Ich schaue mir das zu Hause mit meiner Frau und unseren Kindern an. Wir schreien da auch mal rum, wenn Argentinien spielt. Mit anderen Leuten im Biergarten? Nein. Ich würde durchdrehen, wenn da jemand während des Spiels dumme Fragen stellt.