Von Katharina Blum und Patrick Mayer
München – Sein Image als „Bravo-Boy“ ist er nie losgeworden.
Michael Kraus war der Popstar unter den deutschen Handball-Weltmeistern von 2007. Wenn er die Hallen betrat, kreischten die Mädchen „Mimi, Mimi“.
Bereits vor dem Beginn seiner Profi-Karriere hatte der Rückraumspieler seinen ersten Titel gewonnen: 2000 wurde er „Boy des Jahres“ bei der Wahl der Jugendzeitschrift „Bravo“. Später posierte er als Model für Unterwäsche.
Rasanter Aufstieg
Auf dem Parkett folgte beim Wintermärchen im eigenen Land der rasante sportliche Aufstieg.
Spielmacher Markus Baur verletzte sich am Ende der Hauptrunde. Der damalige Bundestrainer Heiner Brand vertraute Kraus, der in den folgenden Spielen auf der Mittelposition über sich hinauswuchs.
Deutschland wurde Weltmeister, Kraus war ein gefeierter Star.
SHOP: Jetzt Handball-Artikel kaufen
Porsche zerlegt
Doch anschließend glich Kraus‘ Karriere einer Achterbahnfahrt – bergab ging es oft. Von Göppingen aus zog es ihn nach Lemgo. Seine Lehre zum Bankkaufmann ließ er sausen – vier Monate vor dem Abschluss. Beim TBV leistete er sich stattdessen reihenweise persönliche Eskapaden.
Kraus kam zu spät zum Training, verpasste Termine, vergaß taktische Absprachen – den Vorwurf, es mangele ihm an Professionalität, konnte er später auch nicht beim großen HSV Hamburg entkräften.
Tiefpunkt war ein schwerer Autounfall mit einem weißen Porsche 911GTS im Stadtteil Ohlsdorf. Das Innenband im Knie riss, mehrere Rippen waren geprellt. Es war seine erste schwerwiegende Verletzung. Die Formkrise war fortan sein ständiger Begleiter.
Brand kritisiert scharf
Aus Mimi dem Star war Kraus der Statist geworden, ein uneingelöstes Versprechen. Brand warf ihn aus der Nationalmannschaft.
„Er könnte der beste deutsche Handballer sein“, sagte der Weltmeister-Trainer mehrfach. „Er hat sein Talent aber nach der WM 2007 regelrecht verschludert.“
Kraus begründete seinen Karriereknick damit, dass zu viel über ihn hereingebrochen sei. „Die gestiegenen Erwartungen, das Interesse an meiner Person – das war einfach zu viel für mich“, schilderte er in einem Interview der „FAZ“. „Ich habe Rückenprobleme bekommen, konnte nachts kaum noch schlafen. Es ist brutal, was die Psyche ausmachen kann.“
Immerhin reichte es zum Champions-League-Sieg 2013 mit dem HSV. Kraus zeigte nach langem Anlauf aufsteigende Form.
Das ewige Talent
Er wagte den Angriff, wollte Vergleiche als ewiges Talent vergessen machen. Er kehrte vor der Saison zu FRISCH AUF Göppingen und zu Ziehvater Velimir Petkovic zurück. Und er gab sich geläutert.
„Ich habe Fehler gemacht, und ich habe daraus gelernt“, sagte er im Interview mit SPORT1 (INTERVIEW: „Ich habe aus Fehlern gelernt“).
Der damalige Bundestrainer Martin Heubgerger berief Kraus für die WM-Playoffs gegen Polen. Der Regisseur konnte die Pleite zwar nicht verhindern, war in einem mäßigen deutschen Team aber noch einer der besten.
Vorläufig suspendiert
Und jetzt das. Nur vier Monate nach seiner Rückkehr in die Nationalmannschaft hat die Anti-Doping-Kommission des Deutschen Handballbundes (DHB) gegen ihn ein verbandsinternes Disziplinarverfahren eingeleitet (BERICHT: Michael Kraus vorläufig suspendiert).
Dem 30-Jährigen wird vorgeworfen, drei Meldepflicht- und Kontrollversäumnisse binnen 18 Monaten begangen zu haben.
Kraus wurde unabhängig von einer späteren Entscheidung über eine Sperre mit sofortiger Wirkung vorläufig suspendiert und steht Göppingen damit in der Vorbereitung auf die kommende Saison in der DKB HBL bis auf Weiteres nicht zur Verfügung.
Laufendes Verfahren
„Ich äußere mich zu dem laufenden Verfahren nicht, da die Entscheidung des DHB noch aussteht. Ich möchte lediglich betonen, dass es sich um formelle Verstöße handelt. Ich wurde in den letzten Monaten zig Mal getestet und alle Ergebnisse waren negativ“, sagte Kraus der „Bild“-Zeitung.
Die Reaktionen der Verantwortlichen? Beinahe verzweifelt.
„Leider muss ich feststellen, dass Michael noch immer nicht richtig erwachsen ist – er muss lernen, solche Nachlässigkeiten zu vermeiden“, meinte DHB-Präsident Bernhard Bauer kritisch.
Sein Vize Bob Hanning versucht sich derweil als Seelenstreichler, betont, dass Kraus‘ DHB-Karriere nicht am Ende sei, sollte sich die Dopingkontrollaffäre als bloße Schusselei erweisen: „Sofern der neue Bundestrainer auf ihn setzt, wird es keine Einschränkungen geben.“
Er könne „nur appellieren, mit Augenmaß zu entscheiden und Schusseligkeit nicht mit dem Ende einer Karriere in Verbindung zu bringen“, sagte Hanning: „Er weiß, dass er an sich arbeiten muss. Mimi ist ein liebenswerter Chaot, der die Sachen aber in den Griff kriegen muss.“
Nicht das erste Mal, dass Kraus so etwas zu hören bekommt.