Ulm – Markus Rehm hörte gar nicht mehr auf zu strahlen, nachdem ihm die Sensation gelungen war.

Als erster Weitspringer mit Handicap den Titel bei den Nicht-Behinderten gewonnen, seinen Weltrekord um 29 Zentimeter auf 8,24 m verbessert: Der 25-Jährige hat Sportgeschichte geschrieben bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm.

Rehm genoss es sichtlich. Vielleicht auch deshalb, weil er wusste, dass seine Freude nicht lange ungetrübt sein würde.

Dass die Debatte, mit der der unterschenkelamputierte Rehm schon länger lebt, nun noch höher kochen würde: die Debatte, ob Rehm wegen seiner Karbon-Prothese einen unfairen Wettbewerbsvorteil hat.

Reif stützt Rehm, Bayer übt Kritik

Rehm selber sieht es so: „Ich glaube, ich habe weder einen Vorteil noch einen Nachteil. Die Prothese ersetzt, was ich nicht mehr habe.“

Die Konkurrenz allerdings ist aufgrund dieser Frage gespalten.

Ex-Europameister Christian Reif, der hinter dem neuen Konkurrenten mit 8,20 auf Platz zwei landete, äußerte sich positiv. „Markus Rehm hat verdient gesiegt“, hielt er beim gemeinsamen Auftritt mit Rehm im ZDF Sportstudio fest.

Titelverteidiger Sebastian Bayer dagegen heizt die Diskussion um ein etwaiges Technik-Doping durch einen Katapulteffekt bei Rehm an.

„… dann würde ich durch die Gegend humpeln“

„Die Prothese ist gefühlte 15 Zentimeter länger als das andere Bein. Meine Beine sind beide gleich lang“, sagte der Hamburger, der als Fünfter (7,62 m) ein Debakel erlebte.

„15 Zentimeter ist total übertrieben, das stimmt definitiv nicht“, antwortete Rehm, der als Orthopädietechniker selbst an den Einstellungen seiner Prothese feilt:

„Sie gibt leicht nach, das muss ich ausgleichen. Wenn die Prothese gleich lang wäre wie mein linkes Bein, würde ich durch die Gegend humpeln.“

Fall Rehm – auch das Netz ist gespalten:

https://twitter.com/Sunworshipper8/statuses/493151415880396800

Meister unter Vorbehalt

Alle Beteiligten geraten auch deshalb in Verlegenheit, weil Rehm in Ulm nur unter Vorbehalt starten durfte – bis endgültig geklärt ist, ob er durch seine Prothese einen Vorteil hat oder nicht. Biomechaniker haben während des Wettkampfes Daten erhoben, um zu analysieren, ob seine Leistungen mit denen der anderen Springer vergleichbar sind.

Wann die Wissenschaftler ihre Ergebnisse vorlegen werden, steht noch nicht fest. „Es braucht eine saubere, präzise und allumfassende Analyse“, befindet DOSB-Präsident Alfons Hörmann in der „tz“.

Der DLV strebt für die Zukunft eine Art TÜV für Prothesen an, um Leistungen vergleichbar machen zu können.

„Da haben wir geschlafen“, sagte Weitsprung-Bundestrainer Uwe Florczak und kritisierte, dass die Frage schon vorher hätte geklärt werden müssen.

Unklarheit vor der EM

Stattdessen schwelt das Problem weiter, auch mit Blick auf kommende Großereignisse.

Rehm überbot in Ulm die Norm von 8,05 m für die Europameisterschaft in Zürich (12. bis 17. August) deutlich – nur vier Athleten in Europa sind in diesem Jahr überhaupt weiter gesprungen.

„Er hat die Norm geschafft und kann nominiert werden“, sagte Thomas Kurschilgen, Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).

Europäischer Verband entscheidet

Ob Rehm tatsächlich in Zürich springen darf, muss am Ende der europäische Verband entscheiden.

Die EAA wollte sich zu dem Fall zunächst nicht äußern und verwies auf kommende Gespräche mit dem DLV und dem Weltverband IAAF in den nächsten Tagen.

Der DLV will am Dienstag sein Aufgebot bekannt geben.

Rehm will „einfach Klarheit“

„Ich weiß um das Problem und verstehe die Diskussion. Ich möchte einfach Klarheit haben“, sagte Rehm, der mit 14 Jahren beim Wakeboarden in den Main stürzte und dessen Beine von der Schiffsschraube eines Motorbootes zerfetzt wurden.

Die Ärzte konnten seinen rechten Unterschenkel nicht retten. Heute hat der Modellathlet in der paralympischen Klasse längst keine Gegner mehr.

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Rehm bedankt sich bei den Fans:

HERE SHOULD BE FB POST – EMBED IT AGAIN WITH URL: https://www.facebook.com/markus.rehm88/photos/a.561207570585413.1073741832.559255834113920/746035885435913/?type=1

Parallelen zu Oscar Pistorius

Rehms Situation erinnert stark an den Fall des doppelt amputierten Oscar Pistorius.

Der Südafrikaner klagte 2008 vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS in einer Einzelfallentscheidung erfolgreich sein Startrecht für Wettkämpfe der Nicht-Behinderten ein und lief schließlich sogar bei den Olympischen Spielen 2012 in London.

Ein juristisches Hickhack, um seinen Start in Zürich einzuklagen, schloss Rehm allerdings aus. „Ich vertraue den Analysen des DLV“, sagte er.

Für Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, ist der Fall ohnehin klar: Die Prothese bringe Rehm keinen Vorteil, glaubt er: „Markus ist einfach ein Welt-Ausnahmeathlet.“