Die Defensive galt einst als Prunkstück der deutschen Nationalmannschaft, jetzt ist sie ihre größte Baustelle.
Zu löchrig, zu offensiv, zu unsicher – Mexiko nutzte diese Schwachstellen beim überraschenden, aber verdienten 1:0-Sieg eiskalt aus und bestrafte die DFB-Auswahl gnadenlos. Es herrscht Abwehr-Alarmstufe Rot!
„Jetzt ist WM und wir haben es immer noch nicht kapiert. Mit so einer Leistung kann man kein WM-Spiel gewinnen”, kritisierte Jerome Boateng auf SPORT1-Nachfrage. „Wir haben es drei Tage lang besprochen. Mehr können wir nicht machen. Das war ganz klar ein Weckruf, obwohl wir schon zwei, drei hatten. Wir müssen viele Sachen besser machen. Denn man kann nicht in der ersten Halbzeit in fünf Konter laufen.“
Die WM-Auftaktpleite offenbarte schonungslos, dass es Bundestrainer Joachim Löw trotz zahlreicher Ansprachen nicht geschafft hat, der Mannschaft in der Defensive Stabilität zu verleihen. Dabei zeigten sich bereits eklatante Schwächen in den Testspielen gegen Österreich (1:2) und Saudi Arabien (2:1).
DFB-Team fehlt die Balance
Die Löw-Elf findet derzeit keine Balance zwischen Defensive und Offensive und rennt blindlings nach vorne, ohne hinten genügend abzusichern. Dadurch entstehen Konter, die selbst ein vermeintlich schwächerer WM-Gegner wie Mexiko beim 1:0 gnadenlos ausnutzt.
„Wenn der eine nach vorne geht, muss der andere bleiben, damit wir eine Absicherung haben. Genau das haben wir vermissen lassen“, legte Boateng nach. Damit pflichtete er seinem Nebenmann bei. „Wenn sieben oder acht Mann offensiv spielen, ist es klar, dass die offensive Wucht größer ist als die defensive Stabilität“, hatte Mats Hummels geklagt. „Unsere Absicherung steht nicht gut.“
Defensiv-Probleme seit Monaten
Überraschend sind die aktuellen Defensiv-Probleme der DFB-Auswahl nicht. Zwar hatte die Nationalmannschaft sogar DFB-Geschichte geschrieben, indem sie in sieben Partien nach der EM 2016 ohne Gegentor blieb.
Zuletzt aber zeigte sich die deutsche Defensive viel zu selten überzeugend. Nur in drei der vergangenen 15 Spiele blieb das DFB-Team ohne Gegentor. Selbst Saudi-Arabien, Aserbaidschan und Nordirland trafen gegen den Weltmeister.
Die deutsche Nationalmannschaft kassiert in ihrem WM-Autakt eine unerwartete 0:1-Pleite gegen Mexiko. Erschreckend schwach präsentieren sich vor allem die vermeintlichen Leistungsträger. Die Einzelkritik von SPORT1
„Außer gegen Saudi-Arabien haben wir die letzten sechs Spiele nicht mehr gewonnen. Man kann es auch nicht mit der WM-Quali vergleichen, wo man kaum gefordert wird und wo der Gegner Ballverluste nicht ausnutzt“, sagte Joshua Kimmich im Gespräch mit SPORT1.
„Jetzt ist es was anderes. Wir müssen schleunigst etwas ändern. Wir müssen den Gegner einfach besser zustellen, bevor wir überhaupt den Ball verlieren.“
Kimmich selbst kam – auch aufgrund seines Offensivdrangs – kaum in die Zweikämpfe, gewann nur für einen Abwehrspieler schwache 50 Prozent (Quelle: Opta). Das defensive Mittelfeld mit Toni Kroos (33 Prozent) und Sami Khedira (43 Prozent) lieferte diesbezüglich Werte, die einem Offenbarungseid gleichkamen.
Ballverluste brechen Deutschland das Genick
Die Defensivprobleme haben auch mit dem derzeit unsicheren Spiel mit dem Ball zu tun. Routinier Khedira etwa leistete sich vor dem 1:0 im vorderen Drittel einen unnötigen Ballverlust, während die Viererkette auf Höhe der Mittellinie stand. So sind gut ausgespielte Konter auf WM-Level nur schwer zu verteidigen.
„Wir haben den Ball relativ simpel verloren und dann sind wir in viele Konter gelaufen. Das müssen wir abstellen. Natürlich müssen auch aufgerückte Verteidiger ein bisschen schneller nach hinten – und auch wir Stürmer“, fordert Timo Werner im Gespräch mit SPORT1.
Nach der überraschenden Auftaktpleite der deutschen Nationalelf zeigen sich die Medien über die Leistung des Teams entsetzt. Die internationalen Pressestimmen.
Julian Brandt erklärte unzweideutig, dass die Räder in der deutschen Abwehrarbeit weit davon entfernt sind ineinanderzugreifen: „Unser Problem war, dass wir in der Offensive die Bälle zu leicht verlieren und wir mit zwei Parteien verteidigen: Die einen, die pressen. Die anderen, die hinten stehen.“
Mexiko überraschte Deutschland
Stellt sich noch die Frage, warum ein Gegner wie Mexiko dem Weltmeister trotz detaillierter Spielvorbereitung und zahlreichen Analysetools derart überraschen und zusetzen kann.
„So haben wir die Mexikaner bislang in keinem Spiel gesehen. Wir haben keine richtige Lösung in der ersten Halbzeit gefunden und auch das Tempo zu niedrig gehalten“, stellte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff fest. „Die Mexikaner waren flinker und aggressiver.“
Dagegen hatten die Deutschen nur wenige Mittel, weil erneut der unbedingte Wille fehlte, Zweikämpfe zu führen und zu gewinnen, wenn es erforderlich wird – so wie Mesut Özil beim entscheidenden Zweikampf mit Torschütze Hirving Lozano.
Bekommt Löw die Defensive nicht in den Griff, droht am Samstag gegen Schweden (ab 20 Uhr im LIVETICKER) der Super-GAU des Vorrundenausscheidens.