Beim FC Bayern kommt er seit jeher mit einer Mischung aus Spaßvogel und Raubein daher – das war bei Hasan Salihamidzic einst als wenig zimperlicher Spieler genauso der Fall wie heute als Sportvorstand beim Rekordmeister.

Zig Titel pflasterten seinen Weg, kurzum: Der Fußball hat den 44-Jährigen zu dem gemacht, was er ist.

Das allerdings ist nur ein Teil der Geschichte, denn keineswegs stand Salihamidzic in seinem Leben immer auf der Sonnenseite.

In einem Interview mit dem DFL MAGAZIN gewährte der Bosnier nun sehr persönliche Einblicke über seine Zeit unmittelbar nach der Flucht als Jugendlicher aus seiner seinerzeit im Bürgerkrieg versunkenen Heimat.

„Ich hatte vor meiner Abreise die wichtigsten Sätze und Ausdrücke in ein kleines Buch geschrieben. Einer davon war: Ich möchte eine Limonade“, sagte Salihamidzic.

FC Bayern: Salihamidzic über Flucht aus Ex-Jugoslawien

Für den damals 15-Jährigen, der von seiner Familie nach Deutschland geschickt worden war, begann der Neustart in fremder Umgebung tränenreich wie prägend für sein weiteres (erfolgreiches) Dasein.

In der Doku "FC Bayern - Behind The Legend" schwärmt Hasan Salihamidzic von Erling Haaland. Die Dokumentation gibt es ab 2. November exklusiv bei Prime Video.

In der Doku "FC Bayern – Behind The Legend" schwärmt Hasan Salihamidzic von Erling Haaland. Die Dokumentation gibt es ab 2. November exklusiv bei Prime Video.

„Während der ersten drei Monate habe ich jeden Tag geheult. Papa, Mama und meine Schwester waren das Wichtigste für mich. Aber mein Vater wollte mich unbedingt in Sicherheit bringen. Die Front verlief im Sommer 1992 ganz in der Nähe unserer Stadt, Jablanica in Bosnien“, so Salihamidzic. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)

„Es waren furchtbare Zeiten. Jablanica wurde bombardiert“, sagte der FCB-Lenker. „Ein Blindgänger schlug genau bei uns im Flur ein. Gott sei Dank haben bei uns alle überlebt.“

Der spätere Fußball-Profi und Nationalspieler von Bosniens-Herzegowina fügte im Rückblick auf den einst auseinanderfallenden Vielvölkerstaat Jugoslawien an: „Mein Vater, der damals noch als Polizeibeamter arbeitete, hatte große Angst, dass die Verteidigungslinie zusammenbrechen könnte.“

Bedrohliche Situationen mit Soldaten – und viele Tränen

Es habe „ethnische Säuberungen“ gegeben, „bei denen auch männliche Jugendliche erschossen wurden. Er kam eines Tages zu mir und sagte: ‚Hier ist eine Kalaschnikow, hier ist eine Pistole. Sobald die Front zusammenbricht, schnappst du dir Mama und deine Schwester und fährst mit dem Auto dorthin.“‘

Dafür hatte Salihamidzic ungeachtet seines jungen Alters das Lenken, Schalten und Gasgeben geübt, ehe er schließlich doch in einen Bus gesetzt wurde – Ziel Hamburg, wo sein Vater über einen alten Schulfreund den Kontakt zu Rudi Kargus herstellte.

Mit Erfolg: Der frühere Nationaltorhüter und damalige A-Jugendtrainer des Hamburger SV verhalf „Brazzo“ zu einem Probetraining – der Startschuss für eine bemerkenswerte Laufbahn als Berufssportler, nachdem der Jugendliche zuvor noch mit serbischen und kroatischen Mitspielern für Jugoslawien an der U16-Europameisterschaft auf Zypern teilgenommen hatte.

Im Reus-Zoff zwischen Michael Zorc und Hasan Salihamidzic positioniert sich Hansi Flick seitens des BVB - handelt es sich um eine Retourkutsche gegenüber Brazzo?

Im Reus-Zoff zwischen Michael Zorc und Hasan Salihamidzic positioniert sich Hansi Flick seitens des BVB – handelt es sich um eine Retourkutsche gegenüber Brazzo?

Die Flucht nach Norddeutschland indes war begleitet von Angst und Sorgen: „Ich wurde in einem Bus an mehreren Checkpoints vorbei nach Kroatien geschmuggelt. Später, an der Grenze zu Slowenien, wurden wir angehalten. Ich war der einzige Passagier mit jugoslawischem Pass im Bus und musste aussteigen.“ (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)

Die kroatischen Soldaten setzten Salihamidzic arg zu, stellten Fragen – und bekamen zur Antwort von ihm, er wolle in Hamburg Fußball-Profi werden.

Neustart beim HSV – neues Leben mit Irritationen

„Die haben sich kaputtgelacht und mich schließlich gehen lassen. Ich kam mit umgerechnet 800 D-Mark in der Hosentasche in Deutschland an. Das Geld hatte ich mir vom Kellnern zusammengespart. Mit diesem Job hatte ich in den Wochen zuvor meine Familie unterstützt.“

Endlich in Sicherheit, sah sich der damalige Teenager mit dem Konsum des Westens und Kapitalismus zunächst überfordert.

„Die Familie, bei der ich wohnte, hatte Fruchtjoghurts im Kühlschrank, so etwas hatte ich zu Hause nie gesehen. Manchmal aß ich fünf Stück am Tag, man musste alles vor mir wegschließen“, erinnerte sich Salihamidzic.

Er habe auch nicht gewusst, „dass es sehr teuer war, mit meiner Familie zu telefonieren. Irgendwann hat der Vater der Familie dann ein Telefon gekauft, das man absperren konnte.“ (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)

Schneller heimisch wurde der hochveranlagte Salihamidzic dagegen auf dem Fußballplatz.

Hasan Salihamidzic stichelte gegen Marco Reus und BVB-Sportdirektor Michael Zorc wies ihn in die Schranken. Geschäftsführer Watzke amüsierte der Zoff.

Hasan Salihamidzic stichelte gegen Marco Reus und BVB-Sportdirektor Michael Zorc wies ihn in die Schranken. Geschäftsführer Watzke amüsierte der Zoff.

„Die Leute dachten: ‚Der Junge ist total bekloppt!“‘

„Ich hatte das Glück, dass die Freunde meines Vaters nur ein paar Minuten entfernt vom Sportplatz an der Rothenbaumchaussee wohnten, wo die Amateure trainierten. Ich stand jeden Tag um sechs Uhr früh auf, kletterte über den Zaun und machte dort meine Läufe und Dribblings – bis mich der Platzwart irgendwann wegjagte“, so der Bayern-Boss.

„Die Leute beim Hamburger SV dachten wohl: ‚Der Junge ist total bekloppt!‘ Aber sie gaben mir eine Chance, weil sie sahen, dass ich es wirklich wollte. Dem großen Ziel, es als Profi zu schaffen, ordnete ich alles unter.“

Eine Lebensphilosophie, der Salihamidzic bis heute treu geblieben ist.

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