Weltcup, Vierschanzentournee und Olympische Spiele: In diesem Jahr stehen im Skispringen reichlich Highlights an. Zum Start der Saison überzeugten mit Felix Hoffmann und Philipp Raimund zwei Springer, die in den letzten Jahren bisweilen im Schatten standen. Aushängeschild Andreas Wellinger springt dagegen aktuell nur hinterher.

Ganz nah dran am Geschehen ist ARD-Skisprungexperte Sven Hannawald, der im exklusiven Gespräch mit SPORT1 die aktuelle Lage der deutschen Adler in der Olympia-Saison einordnet.

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CAPTION: Sven Hannawald beschäftigt der Anzug-Skandal noch immer intensiv
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Sven Hannawald beschäftigt der Anzug-Skandal noch immer intensiv
Sven Hannawald beschäftigt der Anzug-Skandal noch immer intensivSven Hannawald beschäftigt der Anzug-Skandal noch immer intensiv

Hannawald erklärt zudem, warum für ihn die Vierschanzentournee immer wichtiger war als die Olympischen Spiele, warum ihn der Anzug-Skandal noch immer beschäftigt und warum er den norwegischen Übeltätern nichts mehr zu sagen hat.

SPORT1: Herr Hannawald, die neue Weltcup-Saison hat begonnen. Das erste Wochenende war von Höhen und Tiefen für das deutsche Team bestimmt, wie bewerten Sie das erste Wochenende?

Sven Hannawald: Zum einen sehr positiv im Hinblick auf die zwei Akteure Felix Hoffmann und Philipp Raimund. Speziell für Raimund war es nach dem Gewinn des Sommer-Grand-Prix eine spezielle Aufgabe, weil er seinen Rucksack damit selbst mit Erwartungen gefüllt hat. Diesen Druck hat man ihm bei den ersten Sprüngen auch angemerkt. Er wollte den Erwartungen gerecht werden und ist dann ein bisschen zu forsch rangegangen. Über das Wochenende hat er sich dann gesteigert und mit Platz vier gezeigt, dass er weit nach vorne springen kann. Er hat sich jetzt gefunden, gibt sich entspannter und lockerer. Felix Hoffmann ist, nach seinem durchaus überraschenden Gewinn bei der Deutschen Meisterschaft, stetig auf seinem Weg geblieben. Er hatte Samstag schon die Chance auf das Podium, war da dann aber etwas zu aufgeregt, auch weil es eben seine erste Chance in seiner Karriere war. Am Sonntag hat er dann souverän daran angeknüpft und sich mit dem Podestplatz belohnt. Die beiden machen Spaß. Pius Paschke und Karl Geiger befinden sich so ein bisschen in der Mitte. Die meisten Probleme hat leider unser bisheriges Aushängeschild, Andreas Wellinger, der sich extrem schwertut.

Wellinger? „Bisschen das Gefühl für die Schanze verloren“

SPORT1: Sie haben Wellinger schon angesprochen, der ein Wochenende zum Vergessen erlebte. Machen Sie sich Sorgen um ihn?

Hannawald: Es wird nun klar, dass es für ihn über den Sommer hinweg doch ein größerer Einschnitt war mit der Veränderung der Anzüge. Einige Springer, wie Raimund und Hoffmann, passen mit ihrer gewohnten Sprungphilosophie besser rein. Für die war es in der letzten Saison einfach zu viel Stoff. Das passt jetzt für sie sensationell mit etwas weniger Stoff. Es gibt aber auch Springer, wie leider Andreas Wellinger, die sich jetzt erstmal vom Sprung komplett umstellen müssen. Da musste man sich erst mal neu sortieren, weil die Flächenverhältnisse, die man gewohnt war, sich jetzt verschoben haben. Da muss man den Sprung ein bisschen umdenken. Speziell durch den Start des Weltcups ist es jetzt besonders schwer, weil er sich im laufenden Wettkampf rantasten muss. Da wäre Training sicher effektiver, aber die Zeit hat er jetzt nicht. Trotzdem hat das deutsche Team Wellinger ja bewusst beim Team gelassen und nicht nach Hause geschickt, auch weil jetzt Wettkämpfe auf der Kleinschanze anstehen, wo vieles etwas einfacher ist. Aktuell hat er so ein bisschen das Gefühl für die Schanze verloren. Jetzt muss er sich Stück für Stück an das neue Material herantasten.

SPORT1: Bei Felix Hoffmann und Philipp Raimund sieht die Situation ganz anders aus. Was trauen Sie den beiden für den Rest der Saison zu?

Hannawald: Die beiden passen mit ihrem Sprungstil komplett zu den neuen Anzügen. Eigentlich war Raimund nicht der Gefühlvolle, aber er hat jetzt gemerkt, dass das Rabiate nicht funktioniert und sich über den Sommer umgestellt. Felix Hoffmann ist schon immer der Sensible gewesen. Für ihn scheint es bei den alten Anzügen aber im Nachhinein gesehen einfach zu viel Stoff gewesen zu sein. Mit dem vielen Material war es in der Vergangenheit einfach möglich, brutal und gefühllos nach vorne zu springen. Der Anzug mit der großen Fläche hat jeden aufgefangen. Dadurch sind die feinfühligen Springer im Hintergrund geblieben. Sie hätten sich natürlich umstellen können, aber dann ihren Vorteil, den sie von klein auf trainiert haben, verlassen müssen. Hoffmann blieb sich treu. In dieser Saison ist er eben effektiver, weil alle sich in diese Richtung umstellen müssen.

Skispringen: Olympia? „Für mich war die Tournee immer über allem“

SPORT1: In diesem Winter steht mit den Olympischen Spielen ein großes Highlight an. Was darf man vom deutschen Team erwarten. Können unsere Springer um Medaillen bei Olympia mitspringen?

Hannawald: Bei den gravierenden Umstellungen im Reglement ist es noch zu früh, um irgendwelche Aussichten zu liefern. Wenn wir die gleichen Anzüge wie im letzten Jahr hätten, könnte ich mit meiner Erfahrung klare Aussagen treffen. Aber jetzt ist das gefühlt wie Lotto spielen. Ich gehe aber davon aus, dass Raimund und Hoffmann, die wirklich super in dieses Reglement passen, Chancen haben.

SPORT1: Aus Ihrer Erfahrung – sind die Olympischen Spiele für einen Skispringer überhaupt so wichtig oder sind andere Wettkämpfe sogar bedeutender?

Hannawald: Für mich war die Vierschanzentournee immer über allem, speziell, weil es kein Tageserfolg ist. Da muss man sich über zehn Tage durchbeißen. Aber auch Olympia war etwas ganz Besonderes. Gerade mit der ersten Medaille mit dem Team 1998 in Nagano, aber natürlich auch Salt Lake City mit dem Olympiasieg. Die Medaillen sind schwerer als bei Weltmeisterschaften. Das merkt man, wenn man sie um den Hals hängen darf. Aber auch die Eindrücke, die hängen bleiben, sind speziell. Zum Beispiel die Eröffnungsfeier, aber auch das Drumherum. Sowas ist nicht alltäglich und gibt es auch bei keiner Weltmeisterschaft. Zudem findet Olympia eben nur einmal alle vier Jahre statt. Es ist ein großer Moment und als Aktiver hofft man, dass man spätestens dort seine Höchstform hat, damit man Nackenschmerzen bekommt, weil die Medaille so schwer ist (lacht).

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CAPTION: Sven Hannawald gewann bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City Silber
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Sven Hannawald gewann bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City Silber
Sven Hannawald gewann bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City SilberSven Hannawald gewann bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City Silber

SPORT1: Sie haben alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Was war der speziellste Sieg?

Hannawald: Das ist bei mir immer klar, die Tournee. Da habe ich mich tief in den Statistiken verewigt, egal, was noch so passiert. Ich durfte der erste sein, der alle vier Springen gewinnen konnte. Die Hoffnung ist, dass ich endlich einen deutschen Nachfolger bekomme. Im Fall meines Tournee-Sieges und als erster Grand-Slam-Sieger habe ich mein Statussymbol für die Ewigkeit gesetzt. Deswegen ist die Tournee für mich immer das Größte. Das war auch ein Kindheitstraum. Als ich als Kleiner mit Papa auf dem Sofa saß und erstmals die Tournee im Fernsehen gesehen habe, war klar, dass ich das gewinnen will.

Hannawald: „Das ist für mich ein totaler Knieschuss“

SPORT1: Der Anzug-Skandal aus dem letzten Jahr ist noch immer Thema. Im SPORT1-Interview im März wirkten Sie bei dem Thema sehr aufgekratzt. Wie sehr beschäftigt Sie das Thema noch immer?

Hannawald: Es ist nach wie vor immer noch ein kleiner Klotz am Fuß, weil sich von den Bestrafungen her nicht wirklich was getan hat. Klar haben sie eine dreimonatige Strafe bekommen, aber die wurde eben im Sommer angesetzt (lacht höhnisch). Das kriegt kein Mensch mit. Spätestens da hätte ich es schon so gemacht, dass die Strafe für den Winter angesetzt wird. Die Strafe hätte sich nur wirklich ausgewirkt, wenn eben der Sommer-Grand-Prix mit in die Wertung des Winters eingehen würde. Der Beschiss ist im Winter passiert, also musst du auch die Strafe im Winter ansetzen. Zudem ist Marius Lindvik nach wie vor der aktuelle Weltmeister, was für mich auch ein totaler Knieschuss ist. Das sind Sachen, die in mir arbeiten. Leider schwindet die Hoffnung, dass sich da noch irgendwas bewegt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man jetzt froh ist, dass die neue Saison begonnen hat und man jetzt neue Geschichten darüber stellen kann. Es war am ersten Wochenende ja auch spektakulär und superspannend, aber das andere wird trotzdem weiterarbeiten. Und wenn ich die zwei Kandidaten an der Schanze sehe, muss ich mich echt zusammenreißen. Das muss ich zugeben.

SPORT1: Sie haben ja gerade angesprochen, dass Sie zum Beispiel Lindvik auch mal über den Weg laufen. Herrscht da Eiszeit oder unterhält man sich auch mal?

Hannawald: Ich weiß nicht, was ich mit denen reden soll. Der Ärger sitzt dann schon so tief bei mir. Mir geht es allein schon darum, wie sie mit der Situation umgehen. Mir würde es gewisse Sachen schon wegnehmen, wenn die zwei Kandidaten einfach zugeben würden: Das war ein Fehler. Jeder macht Fehler im Leben, aber dann muss man auch das Kreuz haben und sagen: Das war kacke von mir und es tut uns leid. Warum es in diese Richtung gegangen ist, ist mir dann erstmal egal. Mir geht es nur darum, dass sie es einfach zugeben und dazu stehen. Offensichtlich stehen sie nur zu einem: Dass sie von nichts gewusst haben. Das sind Sachen, die mich einfach aufregen.

Springer haben „keinen Bock, mit den Norwegern zu reden“

SPORT1: Sie sagten am Wochenende, dass Sie an Lindviks Stelle die WM-Goldmedaille zurückgeben würden. Könnte der Norweger mit solch einer Aktion vielleicht auch seine eigene Glaubwürdigkeit wiederherstellen? Immerhin behauptet er ja noch immer, dass er vom manipulierten Anzug nichts gewusst hätte.

Hannawald: Ja! Da sind wir uns alle einig und dementsprechend steht es leider so im Raum. Das merkst du leider auch den ganzen Springern an. Die haben eigentlich keinen Bock, mit den Norwegern zu reden. Das ist einfach so. Und jetzt fangen die Norweger auch noch an, sich als erste Nation über andere Länder zu beschweren. Sie wollen bei den Österreichern einen Skandal mitbekommen haben. Die brauchen mal eine Grundwäsche, dass sie wieder wissen, wo vorne und hinten ist. Ich weiß wirklich nicht, was mit denen los ist, speziell diese Verbissenheit. Das hat sich auch schon letztes Jahr mit den Anzügen gezeigt. Da wurde zum Saisonstart auch deutlich, dass sie ihren Sprung ändern müssen, um sich zu verbessern. Dann aber auf solche Möglichkeiten zuzugreifen, damit es dann funktioniert, ist bitter. Das ist peinlich und traurig für unsere Sportart. Dass sie jetzt aber die Ersten sind, die wieder rumeiern und behaupten, dass irgendeine Nation bescheißt, ist wirklich das Allerletzte. Das verschlimmert auch nochmal die gesamte Situation. Bei dem aktuellen Verhalten der Norweger haben alle anderen, die noch mit den Folgen des letztjährigen Skandals zu kämpfen haben, natürlich noch weniger Verständnis für die Situation.

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DESCRIPTION: Manipulierte Anzüge norwegischer Springer bei den Weltmeisterschaften in Trondheim sorgten für einen Skandal. Die deutschen Skispringer und nordischen Kombinierer reagieren.

Manipulierte Anzüge norwegischer Springer bei den Weltmeisterschaften in Trondheim sorgten für einen Skandal. Die deutschen Skispringer und nordischen Kombinierer reagieren.

Manipulierte Anzüge norwegischer Springer bei den Weltmeisterschaften in Trondheim sorgten für einen Skandal. Die deutschen Skispringer und nordischen Kombinierer reagieren.

SPORT1: Sie sagten bei unserem Gespräch im Frühjahr, dass Sie Angst haben, dass Ihr geliebter Sport ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen könnte. Treibt Sie diese Sorge noch immer um?

Hannawald: Wir haben jetzt die Möglichkeit, und das hat man auch am ersten Wochenende gesehen, dass wir das wieder geraderücken. Wichtig ist jetzt auch für Mathias Hafele (Anm. d. Red.: Neuer Supervisor für die Abnahme der Anzüge), der das wirklich super im Griff hat. Jetzt ergibt der Umgang mit dem Reglement endlich Sinn. Da sieht man dann auch gleich, wie spannend die Wettkämpfe am Wochenende schon waren. Die Anzüge waren letztes Jahr auch schon so, an den Grundregeln wurde nichts geändert. Aber der Umgang ist ein anderer. Hafele hat nur den Schnitt verändert. Das ermöglicht ihm, dass er es bei allen Athleten nachmessen kann. Letztes Jahr war das nicht möglich. Da ist es dann ausgeufert mit der Trickserei und man hat die Kontrollen versickern lassen. Es wurde zwar kontrolliert, aber irgendwie auch nicht, denn die Anzüge haben sich visuell dramatisch verändert. Dementsprechend ist es jetzt wichtig, es konsequent beizubehalten. Dann haben wir die Möglichkeit, Skispringen wieder zu dem zu machen, wie wir es uns alle wünschen.

Hannawald wünscht sich deutschen Tournee-Nachfolger

SPORT1: Wenn ich es richtig heraushöre, sind Sie also sehr zufrieden damit, wie die Regeln in dieser Saison ausgelegt werden?

Hannawald: Ich war letztes Jahr eigentlich auch schon am Anfang zufrieden. Ich habe aber dann gemerkt, dass sich die Anzüge über die Saison hinweg verändern durften. Irgendeiner hat damit angefangen und das sehen die anderen natürlich auch und versuchen es dann auch. Wenn du da als Kontrolleur die Zügel loslässt, dann kannst du den Laden gleich schließen. Das wäre wie, wenn man in anderen Sportarten einfach Doping freigeben würde. Das war vogelwild. Es braucht Regeln, auch damit am Ende kein Springer gefühlt 30 Meter weiterfliegt als die anderen. Das Reglement gab es auch in der letzten Saison. Dann kamen aber mit den Slowenen und den Norwegern leider zwei Nationen auf die Idee, für ein besseres Ergebnis eben nicht den Sprung zu verändern, sondern das Material. Da sie zuvor nicht konkurrenzfähig waren und plötzlich an der Spitze standen, war für mich klar, dass da was verändert wurde. Ich hoffe, dass daraus jetzt alle gelernt haben und die Anzüge bleiben, wie sie sind. Was wir letztes Jahr erleben mussten, ist ein Skandal und eine Dreistigkeit vor dem Herrn. Schon alleine deswegen, weil sie noch immer nicht zugeben, dass sie es gewusst haben.

SPORT1: Zum Abschluss – was wünschen Sie sich für die Skisprung-Saison 2025/26?

Hannawald: Ich wünsche mir spektakuläre und spannende Wettkämpfe. Ich hoffe, dass ich endlich meinen Nachfolger bei der Tournee bekomme, ohne jetzt den Druck wieder aufbauen zu wollen. Aber am Ende des Tages müssen die Jungs lernen, auch mit gewissen Erwartungen umzugehen und sich vielleicht auch mal auf Interviews freuen. Das ist ja in gewisser Art und Weise auch eine Ehre. Ich hoffe natürlich, dass Deutschland auch mit der ein oder anderen Medaille von den Olympischen Spielen nach Hause fahren darf und wir unsere Hymne das ein oder andere Mal hören dürfen. Meine Daumen sind auf jeden Fall gedrückt.