Das hart erkämpfte 2:0 der deutschen Nationalmannschaft gegen Luxemburg in der WM-Qualifikation hat Peter Neururer alles andere als gut gefallen. Das merkt man dem SPORT1-Experten einen Tag später immer noch an.
Die Trainer-Legende spricht seine Enttäuschung deutlich aus und findet vor allem für den Umgang von Julian Nagelsmann mit Leroy Sané deutliche Worte. Allgemein sieht Neururer den Bundestrainer nun mehr denn je in der Pflicht.
SPORT1: Herr Neururer, das DFB-Team hat sich gegen Luxemburg zum Sieg gequält. Wie bewerten Sie diesen Auftritt?
Peter Neururer: In der ersten Hälfte haben wir viel, viel Glück gehabt und die Luxemburger keine große Qualität, denn sonst hätten wir zur Halbzeit weit zurückliegen können. In der zweiten Hälfte war es relativ ordentlich mit einem entsprechenden Ergebnis. Spielerisch konnte man sowieso nichts Großartiges erwarten. Der Bundestrainer wird jetzt so schnell wie möglich, hoffen wir zumindest, das Konzept finden, die Vorgaben machen, das System und die Ordnung sowie die taktische Ausrichtung festlegen. Und dann müssen wir langsam mal zu Automatismen kommen. Denn so viele Spiele haben wir nicht mehr. Jetzt noch herumzuprobieren und noch mal wieder einen debütieren zu lassen, halte ich für sehr, sehr gefährlich.
SPORT1: Muss man sich nach diesem Spiel als Fan Sorgen machen, dass die Slowakei dem DFB-Team den Gruppensieg entreißt und auf dem Weg zur WM weitere Umwege anstehen?
Neururer: Wir haben eine Gruppe gezogen, in der wir uns schämen müssten, wenn man nicht Erster wird – vor allem an unseren Ansprüchen gemessen. Wenn wir gegen die Slowakei zu Hause nicht punkten, was will ich dann bei der WM? Wollen wir da Tourismus machen?
Neururer: „Ich muss endlich die ersten zwölf, 13, 14 Spieler festlegen“
SPORT1: Ist der aktuelle Kader denn schon tauglich für ein großes Turnier – gemessen am Spiel gegen Luxemburg?
Neururer: Wenn man die Mannschaft durchgeht: Der Torhüter Oliver Baumann ist eine absolut positive Erscheinung, aber da haben wir ohnehin kein Problem. Woltemade macht zwei Tore, das spricht für jeden Stürmer und ist großartig. Sané ist an den Toren mitbeteiligt gewesen, hat gute Aktionen gehabt. Und dann geht’s mal langsam los, wo wir dann noch positive Dinge finden müssen. Da gibt es ab sofort auch nichts mehr auszuprobieren. Ich muss endlich mal die ersten zwölf, 13, 14 Spieler festlegen. Punkt. Und dann gucken wir darüber hinaus: Wer ist momentan in der besten Form? Und die nehme ich noch mit dazu.
SPORT1: Leon Goretzka wurde von vielen Experten und Medien nach der Partie für ein ganz schwaches Spiel kritisiert. Wie sehen Sie ihn?
Neururer: Das fand ich gar nicht so. Er hat sicher nicht gut gespielt. Ich weiß auch, was der Leon kann, keine Frage. Innerhalb dieser Mannschaft, mit welchen Vorgaben auch immer, ist es aber auch nicht ganz so einfach zu spielen gegen einen Gegner, der leidenschaftlich kämpft und all das reinhaut, was er kann – und auch nur das, was er kann.
Neururer: „Was will ich dieser Mannschaft erzählen?“
SPORT1: Warum konnte Luxemburg überhaupt so frech aufspielen?
Neururer: Ich gehe davon aus, dass wir in der ersten Hälfte viel Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte haben wollten und wir, wie man so gerne modern sagt, hoch verteidigen wollten. Aber wenn wir das gegen Luxemburg schon nicht schaffen, dann ist es Zeit, dass wir dann einen anderen Stil finden müssen, den wir auch durchdrücken können.
SPORT1: Thomas Helmer sagte bei Sky, dass er Nagelsmann an der Seitenlinie sehr ruhig und „fast überfordert“ sah angesichts der schwachen Partie. Sehen Sie es ähnlich?
Neururer: Was will ich in dieser Mannschaft, mit diesem Anspruch, den ja jeder Einzelne hat, auch erzählen, wenn es gegen Luxemburg schon so schwer wird? Da kann ich auch nicht ankommen und sagen, wir haben viele, viele Spiele gemacht. Das wussten wir vorher. Das wird auch noch schlimmer, dass die ganzen Nationalspieler ohne Pause in der Champions League und so weiter unterwegs sind. Da werden wir genau wie andere Nationen Probleme bekommen. Das ist aber trotzdem keine Ausrede für so ein Spiel gegen Luxemburg. Da muss ich eben das spielen, was ich kann, und nicht das, was ich möchte. Hohes Anlaufen mit hoher Laufbereitschaft kann ich im Moment offenbar nicht. Also lasse ich es sein. Da ist die Fehlerquote zu hoch. Wenn ich sehe, wie viele Fehlpässe wir in der ersten Hälfte hatten, ist es weit weg von dem Grundgedanken, den Julian ausgesprochen hat: Wir werden Weltmeister. Da schmunzelt mittlerweile nicht nur die eigene Mannschaft drüber, wenn sie sich reflektieren würde, sondern auch die ganze Welt.
Neururer kritisiert Nagelsmann wegen Sané
SPORT1: Nagelsmann sagte, er sei in der Halbzeit ruhig gewesen, weil die Mannschaft es nicht gut abkönne, wenn man draufhaut.
Neururer: (lacht) Die Aussage auch noch. Ich halte davon gar nichts. Das sind Sprüche, die man einem Fan gegenüber machen kann, der nicht weiß, wie es funktioniert. Keine Mannschaft dieser Welt kann es ab, wenn man draufhaut. Die Mannschaft soll so spielen, dass man es gar nicht muss.
SPORT1: Leroy Sané war neben Woltemade noch am ehesten eine positive Erscheinung und dürfte Nagelsmann ein wenig besänftigt haben nach den vielen Diskussionen in den vergangenen Monaten.
Neururer: Julian sollte sich mal hinterfragen, wieso er in der Öffentlichkeit darüber spricht, dass ein Spieler wie Sané nicht mehr so viele Chancen bekommt. Da sollte man den Hebel ansetzen. Sané hat eine ordentliche Leistung gebracht. Und er gehört auch in die Nationalmannschaft, gar keine Frage! Der Trainer sollte Einfluss darauf nehmen, wie Leroy zu spielen hat, und ihn nicht auf Bewährung spielen lassen – denn so hörte es sich auf jeden Fall für den Laien an. Es wirkte so, als wäre er nur dabei, weil wir keine Alternativen haben. Jeder spielt übrigens nur deshalb, weil statt dieser Person keine noch bessere Alternative da ist. Da sollte sich der Trainer überprüfen. Das sind so Plattitüden, mit denen man normalerweise als Trainer nicht umgehen sollte. Im Vereinsfußball kann man das so nicht machen, dann kannst du einpacken.
Neururer: „Wir kopieren nur“
SPORT1: Ist Nagelsmann vielleicht noch zu sehr Vereinstrainer in seiner Art?
Neururer: Was Julian in der Bundesliga bei Bayern München, Hoffenheim und Leipzig gezeigt hat – und dass er großartige Dinge draufhat -, wissen wir. Aber jetzt kommt der Punkt. Was Julian jetzt macht, ist nicht die Bundesliga. Das ist kein Tagesgeschäft, das ist ein riesiger Unterschied. Das ist eine andere Sportart. Er kann sich jetzt die besten Spieler dieses Landes aussuchen und es liegt an ihm, ohne viel Trainingsinhalt eine Mannschaft zu formen und ihr ein klares Konzept zu geben. Und dann dürfen solche Dinge wie in der Vergangenheit mit Havertz als Linksverteidiger nicht passieren. Damit verliere ich als Trainer meine Glaubwürdigkeit bei der Mannschaft.
SPORT1: Die U21 glänzt aktuell wieder. Auch in weiteren Jugendteams ist Deutschland stark. Warum springt der Funke in der A-Nationalmannschaft nicht mehr spielerisch über?
Neururer: Wir haben U17-Weltmeister, sind in der U19 und U21 in der Spitze, aber bei den Herren nicht. Warum? Weil wir dort nur kopieren. Wir wollen eröffnen wie die Spanier, brasilianischer sein als die Brasilianer. Aber die Tugenden verlieren wir, die uns stark gemacht haben. Der Innenverteidiger muss zum Beispiel nicht der Spielmacher sein, nur weil es modern ist. Er soll in erster Linie verteidigen und dann sicher hinten rausspielen.