Ein klarer Plan und jede Menge Energie – die TSG Hoffenheim blüht unter Christian Ilzer auf. Der Klub hat sich unter seinem österreichischen Trainer in beeindruckender Form zurückgemeldet. Zwar tobte im Hintergrund zuletzt ein Machtkampf und nach SPORT1-Informationen haben die Gespräche zwischen der TSG und dem VfL Wolfsburg wegen Sportgeschäftsführer Andreas Schicker am Mittwoch Fahrt aufgenommen – zum Zeitpunkt des Interviews war dies allerdings noch kein Thema.
Dennoch: Vier Siege in Serie, Platz sechs in der Bundesliga und eine Spielweise, die Dynamik und Struktur vereint – im Kraichgau herrscht vorsichtige Euphorie. Fast genau ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist es Ilzer gelungen, aus einer zuvor wankenden Mannschaft ein gefestigtes Kollektiv zu formen.
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CAPTION: Christian Ilzer ist mir der TSG Hoffenheim in der Erfolgsspur
DESCRIPTION: Christian Ilzer ist mir der TSG Hoffenheim in der Erfolgsspur
Vor dem Spiel am Freitagabend bei Mainz 05 (20.30 Uhr im LIVETICKER) spricht der 48-Jährige im exklusiven Gespräch mit SPORT1 über die Gründe für den aktuellen Höhenflug, über Vertrauen und Mentalität – und darüber, warum Ruhe seine wichtigste Erkenntnis nach einem intensiven Jahr in Hoffenheim ist.
„Eine Saison mit vielen Höhen und Tiefen“
SPORT1: Herr Ilzer, vier Siege in Folge – die TSG Hoffenheim ist voll im Aufwind. Seit fast genau einem Jahr sind Sie im Amt. Wie erklären Sie diesen Aufschwung?
Christian Ilzer: Das stimmt, es ist tatsächlich fast genau ein Jahr her. Ich erinnere mich gut: Auch damals war Länderspielpause, als die Gespräche zwischen den Vereinen liefen. Dann ging alles schnell, wir trainierten eine Woche – und gleich das erste Spiel war ein Sieg gegen Leipzig (4:3-Heimsieg, d. Red.).
SPORT1: Danach kam aber erst einmal eine schwierige Phase – was war damals das Hauptproblem?
Ilzer: Es war eine Saison mit vielen Höhen und Tiefen. Damals war das oberste Ziel, die Klasse zu halten. Aus diesen Erfahrungen konnten wir aber sehr wertvolle Schlüsse ziehen – für die Kaderplanung, die Struktur im Team und unsere Arbeitsweise. Ich bin damals in eine Gruppe gekommen, in der einige Spieler verletzt oder erst kurz im Verein waren, andere wiederum schon lange dabei. Im Sommer ist es uns gelungen, daraus eine Mannschaft zu formen – mit klaren Profilen, die zu unserem Spiel passen, und mit einer Dynamik, die sich jetzt sehr positiv entwickelt.
„Wir haben einen klaren Schlussstrich gezogen“
SPORT1: Gab es einen Moment, in dem Sie gespürt haben: Jetzt greift das alles?
Ilzer: Man ist als Trainer immer in Phasen unterwegs – in guten und schwierigen. Entscheidend war für uns, dass wir nach der letzten Saison einen klaren Schlussstrich gezogen haben. Ich habe schon in der Sommervorbereitung, besonders im Trainingslager in Seefeld, gespürt, wie sehr wir zusammengewachsen sind – Spieler, Staff, das ganze Umfeld. Da war zu sehen, dass sich vieles in die richtige Richtung entwickelt.
SPORT1: Es gab aber auch Momente, in denen es schon nach wenigen Wochen kritisch wurde. Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Ilzer: Wenn ich sagen würde, das sei leicht gewesen, würde ich lügen. Es war eine schwierige Phase. Aber gerade in solchen Momenten entwickelt man sich als Persönlichkeit. Man lernt, was man aushalten kann – und das hilft einem später. Ich hatte in meiner Trainerlaufbahn viele gute, aber auch harte Zeiten. Gerade aus den schwierigen Momenten habe ich am meisten gelernt und Konzepte entwickelt, die mir heute helfen.
SPORT1: Wie wichtig war es, dass der Verein in dieser schwierigen Anfangszeit an Ihnen festgehalten hat?
Ilzer: Das Vertrauen habe ich immer gespürt. Die Verantwortlichen haben sehr ruhig und klar reagiert – das war Gold wert. Es ist von Vorteil, dass mit Andreas Schicker ein Vertrauter aus meiner Graz-Zeit in der Führungsebene tätig ist, der meine Arbeit ganz genau kennt. Er wusste, dass wir Zeit brauchen. So entsteht Erfolg: durch Geschlossenheit und Klarheit von oben.
Ilzer sieht „Riesenschritt“
SPORT1: Was haben Sie in diesem ersten Jahr am meisten über sich selbst gelernt?
Ilzer: Ruhe zu bewahren. Zu wissen, welche Rolle man als Coach gerade einnehmen sollte: Wann greife ich ein, wann beobachte ich? Diese Balance ist entscheidend für eine funktionierende Führungsposition.
SPORT1: Welche Elemente Ihrer Handschrift sind bereits klar erkennbar – und wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial?
Ilzer: Mir geht es weniger um „meine Handschrift“, sondern um das große Ganze. Wir sind eine große Gruppe – Spieler, Trainerteam, Staff – und jeder muss seine Rolle finden. Da haben wir einen Riesenschritt gemacht, wenn ich das mit November 2024 vergleiche. Spielerisch haben wir für jede Phase des Spiels eine klare Idee, aber in jeder davon gibt es noch Entwicklungsspielraum. Das ist ja das Spannende.
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CAPTION: SPORT1-Reporter Reinhard Franke im Gespräch mit TSG-Trainer Christian Ilzer
DESCRIPTION: SPORT1-Reporter Reinhard Franke im Gespräch mit TSG-Trainer Christian Ilzer
SPORT1: Was zeichnet das typische Ilzer-Spiel aus?
Ilzer: Wichtig ist für mich, den Spielern eine Mentalität zu vermitteln: sich Großes zuzutrauen – und dafür hart zu arbeiten. Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, weil ich da mehr verdienen kann, sondern um meine Denkweise umzusetzen und Spielern Mut zu machen, an Erfolge zu glauben. Dafür lebe ich Tag für Tag. Dazu gehört auch, dass Angriff und Verteidigung dieselbe Wertigkeit haben. Wir wollen Tore schießen, aber auch konsequent das eigene Tor verteidigen. Das ist ein Punkt, in dem wir uns deutlich verbessert haben.
Lemperle? „Sehr offen darüber gesprochen“
SPORT1: Zwei Spieler stechen heraus: Tim Lemperle und Fisnik Asllani. Neun der 21 Tore gingen auf ihr Konto. Warum harmonieren sie so gut?
Ilzer: Ihre Profile ergänzen sich sehr gut. Tim spielt sehr raumgreifend, sucht die Tiefe und öffnet Räume für andere Spieler. Asllani ist stärker zwischen den Linien, technisch sauber, mit einem guten ersten Kontakt und großer Zielstrebigkeit Richtung Tor. Er hat sich nach seiner Zeit in Elversberg hervorragend entwickelt – auch über Leihen – und ist jetzt reif für die Bundesliga.
SPORT1: Und Lemperle? Er gilt durch seine Geschichte mit der Schlägerei in Köln als schwieriger Typ. Wie erleben Sie ihn heute?
Ilzer: Wir haben vor seiner Verpflichtung sehr offen über seine Vergangenheit und diesen Vorfall in Köln gesprochen. Es war für ihn keine einfache Zeit, aber er hat daraus gelernt. Er ist noch ein junger Bursche. Ich schätze an ihm, dass er unbeschwert spielt. Das ist im modernen Fußball eine riesige Qualität: den Kopf ruhig halten, dem Instinkt folgen und mit dem Herz spielen – das bringt dich in den Flow. Und das beherrscht er hervorragend.
SPORT1: Wie zufrieden sind Sie mit der Mischung im Kader – zwischen jungen Talenten und erfahrenen Spielern?
Ilzer: Sehr. Wir wollten im Sommer den Kader verkleinern und verjüngen, auch um wirtschaftlich nachhaltiger zu werden. Das waren Eckpfeiler unserer Kaderzusammenstellung. Das war keine leichte Aufgabe. Trotzdem braucht man erfahrene Spieler, die wissen, wie dieses Geschäft und dieser Sport auf höchstem Level funktioniert. Diese Mischung stimmt im Moment sehr gut.
SPORT1: Ein Beispiel für die positive Entwicklung ist Grischa Prömel. Nach langer Verletzung ist er zurück und trifft jetzt regelmäßig. Wie sehen Sie ihn?
Ilzer: Ich hatte in meiner aktiven Karriere auch schwere Verletzungen. Ich kann es daher schon nachvollziehen, wie es einem Spieler da geht, wenn man fast ein Jahr weg ist. Grischa ist eine überragende Persönlichkeit. Seine Reha dauerte lange, er hat extrem geduldig und diszipliniert gearbeitet. Jetzt ist er wieder topfit, spielt konstant auf hohem Niveau, hat sich festgespielt im Team, hat seine Rolle gefunden und bringt die Siegermentalität in die Gruppe. Er ist ein echtes Vorbild.
SPORT1: Sie sprechen oft von Vertrauen und Energie im Team. Wie leben Sie diese Kultur täglich vor?
Ilzer: Indem ich selbst das vorlebe, was ich von den Spielern verlange. Authentizität ist entscheidend. Wenn man es schafft, eine gemeinsame Identität zu formen mit starken Leitzielen, entsteht irgendwann eine gewisse Eigendynamik – und dann funktioniert eine Mannschaft fast von selbst. Da kann ich mich als Trainer auch mal etwas zurücknehmen.
Ilzer über Hopp: „Er war immer ein Visionär“
SPORT1: Im September meinte Vereinsmäzen Dietmar Hopp im Exklusivinterview bei SPORT1, Hoffenheim könnte Platz sechs erreichen. Aktuell steht Ihr Team tatsächlich dort. Hat er hellseherische Fähigkeiten?
Ilzer: (lacht) Dietmar Hopp war immer ein Visionär – jemand, der sich und seinen Projekten Großes zugetraut hat. Das finde ich inspirierend. Ich komme ja aus dem Amateurfußball, habe mich in Österreich über viele Stationen nach oben gearbeitet bis in die Bundesliga in Deutschland. Ohne Visionen und Träume geht das nicht. Aber am Ende braucht es neben der Vision auch ein klares Handlungskonzept. Wenn wir – nicht nur im September oder im November – sondern auch im Mai auf Platz sechs stehen, dann muss man von einer Überraschung sprechen.
SPORT1: Attribute wie Geschlossenheit und Klarheit waren zuletzt aber nicht überall im Verein erkennbar. Es gab Machtkämpfe in der Chefetage, Unruhe um Roger Wittmann. Wie sehr hat das die Mannschaft beschäftigt?
Ilzer: Natürlich war das Thema präsent. Es hat uns beschäftigt, das kann man nicht leugnen. Da hat der Klub sich schütteln müssen. Aber unsere Hauptaufgabe war, uns auf RB Leipzig vorzubereiten – und das hat man auf dem Platz gesehen. Die Mannschaft war konzentriert und geschlossen.
SPORT1: Welche Ziele haben Sie bis zur Winterpause – sportlich und inhaltlich?
Ilzer: Wir haben klare Ergebnisziele, aber wichtiger sind Entwicklungsschritte. Erfolge von gestern sind wie Seifenblasen – schön anzusehen, aber schnell vorbei. Entscheidend ist, dass wir jeden Tag hungrig und gierig bleiben und uns weiterentwickeln. Meine Spieler sollen sich hohe Ziele setzen. Solche Ziele sollen inspirieren und auch zusammenschweißen.
„Können das Überraschungsteam der Saison sein“
SPORT1: Die Bundesliga ist in dieser Saison sehr ausgeglichen. Ausgenommen die Bayern. Wo steht Hoffenheim im Vergleich zur Konkurrenz?
Ilzer: Es ist alles sehr eng beieinander, ja. In der Bundesliga gewinnt man kein Spiel einfach so – jeder verlangt maximalen Einsatz. Wenn wir weiter geschlossen bleiben, jeder seine Rolle als wichtig versteht und wir mit einem großen Invest spielen, dann können wir im Mai das Überraschungsteam der Saison sein.
SPORT1: An welchem Trainer orientieren Sie sich?
Ilzer: Ich schaue nicht nur auf mich. Auch mir macht es großen Spaß, mich jeden Tag weiterzuentwickeln. Ich glaube, jeder Trainer entwickelt sich ständig weiter. Vor einem Jahr wäre mir manches nicht so gelungen. Ich habe wichtige Schritte nach vorne gemacht, das erfüllt mich als Mensch. Ich habe von vielen Trainern gelernt: von Arsène Wenger, als Arsenal Jahr für Jahr in Österreich im Trainingslager war, von Jupp Heynckes, bei dem ich hospitieren durfte, von José Mourinho, der keine große Spielerkarriere hatte, von Pep Guardiola mit seinen Denkweisen oder von Jürgen Klopp, wie er mit den Medien und Menschen umgeht. Aber auch außerhalb des Fußballs – in Politik oder anderen Sportarten – kann man von Persönlichkeiten viel über Führung lernen. Wichtig ist, offen zu bleiben.
SPORT1: Und zum Abschluss: Haben Sie Dietmar Hopp eigentlich persönlich kennengelernt?
Ilzer: Ich war im vergangenen Jahr bei ihm zu Hause. Man merkt sofort, wie erfolgsorientiert und detailliert er denkt. Er hat uns ganz genau Punkte-Vorgaben gegeben. Das zeigt, wie präzise er arbeitet. Für mich ist das Ziel immer: Spielern und dem Verein zu helfen, ihre eigenen Visionen zu verwirklichen, an ihre Träume zu glauben – so zu manifestieren, dass es am Ende nicht von einer Person abhängt. Meine Mission ist irgendwann beendet. Der Klub soll sich unter mir weiterentwickeln. Wenn man das schafft, hat man als Trainer etwas Bleibendes hinterlassen.