Der Ausgleich des FC Bayern beim 1. FC Köln durch Luis Díaz? Klares Abseits. Das 1:1 durch Julian Brandt für den BVB bei Eintracht Frankfurt? Sehr wahrscheinlich ebenfalls Abseits. Zwei strittige Entscheidungen ebneten dem HSV den Weg zum Weiterkommen in Heidenheim. Der Elfmeter, den die TSG Hoffenheim in Person von Andrej Kramaric zum 2:1 verwertete, entsprang einer Fehlentscheidung. Die Liste ließe sich fortführen.
Vom Videoschiedsrichter überprüft werden konnten die Szenen nicht, der VAR kommt im DFB-Pokal erst ab dem Achtelfinale zum Einsatz. Begründet wird dies mit der fehlenden Infrastruktur bei kleineren Klubs, die zu hohen Kosten führen würde. Zudem führt der DFB „Kapazitätsgründe“ an.
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CAPTION: Luis Díaz (nicht im Bild) gleicht für den FC Bayern aus Abseitsposition aus
DESCRIPTION: Luis Díaz (nicht im Bild) gleicht für den FC Bayern aus Abseitsposition aus
Kurios: Alle angeführten Szenen ereigneten sich in Duellen zwischen Bundesligaklubs. Mit Energie Cottbus (3. Liga) und dem FV Illertissen (Regionalliga Bayern) waren lediglich zwei Teams unterhalb der 2. Liga überhaupt in der zweiten Pokalrunde vertreten.
Deutlich fielen die Reaktionen zur Schlüsselszene im Duell zwischen Köln und Bayern aus – und zwar von beiden Seiten. FC-Coach Lukas Kwasniok sagte nach dem 1:4 gegen den Rekordpokalsieger: „Wenn du immer mit Navi unterwegs bist, lernst du irgendwann diese Straßen nicht mehr, du vergisst es. Sie können sich auf den VAR verlassen, und auf einmal ist er halt nicht da.“ Auch Bayerns Sportvorstand Max Eberl schloss sich dieser Sichtweise an.
VAR? „Die Frage ist im Ansatz falsch“
Als Markus Merk bei SPORT1 über das große Diskussionsthema der vergangenen Tage spricht, holt er weit aus. Der dreimalige Weltschiedsrichter, der zwischen 1988 und 2008 338 Spiele in der Bundesliga leitete, stellt klar, dass weniger der VAR, sondern vielmehr die Qualität des deutschen Schiedsrichterwesens an sich im Blickpunkt der Debatte stehen sollte. Die Fragestellung sei deshalb „im Ansatz falsch“, stellt der 63-Jährige klar.
„Ich bin immer froh, wenn ich nach Jahren sagen kann, dass ich mich getäuscht habe. Es bestätigt sich jedoch, was ich schon zu Zeiten der Einführung des VAR als Experte bei Sky gesagt habe: Wir bekommen ein Riesenproblem im Fußball, wenn wir nicht erkennen, dass die Entscheidungskompetenz der Schiedsrichter nachlässt. Das ist das Primäre“, sagt Merk über den Video Assistant Referee, der ab der Saison 2017/18 erstmals in der Bundesliga zum Einsatz kam.
Als symbolhaftes Beispiel führt Merk folglich nicht etwa eine Partie aus dem DFB-Pokal an, sondern das Bundesligaspiel des FC Bayern bei Borussia Mönchengladbach einige Tage zuvor. Gladbachs Jens Castrop hatte für ein rüdes Einsteigen gegen Bayern-Star Luis Díaz die Rote Karte gesehen – erst jedoch, nachdem der VAR Schiedsrichter Sascha Stegemann zum Monitor gebeten hatte und dieser seine ursprüngliche Entscheidung (Gelbe Karte) revidierte. Diese Situation sei so klar gewesen, dass sie zwingend auf dem Feld erkannt und richtig bewertet hätte werden müssen.
Erschwerend komme hinzu: „Wenn ich dann auch noch Minuten am Bildschirm brauche, um die richtige Entscheidung zu treffen – da fällt mir wirklich nichts mehr ein. Das ist ein Kompetenzmangel ohne Ende. Das ist das Grundproblem“, stellt Merk klar, der auf die Zeit zurückblickt, als der VAR im DFB-Pokal in den ersten Jahren nach Einführung noch gänzlich gefehlt hatte.
„Viele haben damals gesagt, wenn der Pokal lief: ‚Super, es geht doch auch ohne den VAR. Natürlich ist da mal ein Fehler dabei. Aber wir brauchen diesen Videobeweis nicht.‘ Und nach Jahren siehst du, dass wir viel mehr Fehler haben ohne den Videoassistenten. Und jetzt heißt es plötzlich: ‚Wir bräuchten ja dann doch in den ersten Runden auch schon den Videoassistenten. Nein, wir brauchen einfach im ersten Schritt bessere Schiedsrichter! Dann haben wir auch mit dem Videoassistenten weniger und kürzere Unterbrechungen.“
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CAPTION: Markus Merk ist ein dreimaliger Weltschiedsrichter
DESCRIPTION: Markus Merk ist ein dreimaliger Weltschiedsrichter
Kritik an den gezeigten Leistungen der Unparteiischen, so Merk, müsse von allen Seiten deutlich zum Ausdruck gebracht werden, um eine Verbesserung herbeiführen zu können. „Wenn dann der Verantwortliche sagt: ‚Das ist alles super, das ist alles prima, wie es läuft.‘ Dann fehlt mir das Verständnis. Und ich wundere mich ein wenig, dass die Liga das alles so toleriert.“
Dieser Ansatz sei „komplett falsch. Wir müssen die Schiedsrichter in die Pflicht nehmen, auf dem Spielfeld richtig zu entscheiden. Wenn du in diese Verantwortung nicht genommen wirst, wenn du immer mit dem Videoassistenten arbeitest, dann ist es irgendwann so weit, dass du nicht mehr allein entscheiden kannst. Und diesem Punkt haben wir uns jetzt rapide genähert. Über Jahre sind die Augen verschlossen worden vor einer Entwicklung, die eigentlich erkennbar war. Über Jahre hat man das von Seiten der Führung dahingehend missachtet.“
Gegen kritische Stimmen, was die Leistungen der deutschen Schiedsrichter und deren Stellenwert in der Fußballwelt angeht, hatte sich zuletzt insbesondere Schiedsrichter-Chef Knut Kircher zur Wehr gesetzt: „Nein, ich behaupte nicht, dass es den Schiedsrichtern an Fußballkompetenz fehlt“, sagte Kircher im Interview mit RTL/ntv und sport.de. „Ich finde, die deutschen Schiedsrichter sind aktuell sehr gut unterwegs.“ Einsätze von Felix Zwayer oder Daniel Siebert in wichtigen Spielen bei der Klub-WM oder in der Champions League würden belegen, „dass unsere Schiedsrichter international anerkannt und erfolgreich sind“.
Merk sieht Schiedsrichter als „Erfüllungsgehilfen“
Beim Blick auf den VAR dürfe eine Sache nicht vergessen werden, betont Merk: „Der Videoassistent wurde als Backup eingeführt. Und heute verlassen wir uns auf ihn. Dann müssen wir den Videoassistenten im Studio Hauptschiedsrichter nennen und den auf dem Platz müssen wir Video-Schiedsrichterassistenten nennen. Über die Fehlleistungen von Schiedsrichtern haben wir mehr und mehr Eingriffe vom Videoassistenten bekommen. Das ist Fakt.“
Ein System, das ursprünglich nur als Lösung im Notfall vorgesehen gewesen war, sei „verschlimmbessert“ worden, „weil die Leistungen auf dem Platz nicht gestimmt haben. Deswegen sind die Schiedsrichter nur noch Erfüllungsgehilfen.“
Merks Fazit: Eine Einführung des VAR bereits in der zweiten oder sogar ersten Pokalrunde würde an dem eigentlichen Problem rein gar nichts verändern.
„Bedauerlicherweise kommen wir nur auf dieses Thema, weil die Leistung der Schiedsrichter anzuzweifeln ist. Die Fans beschweren sich in den letzten Wochen (in der Bundesliga; Anm. d. Red.) zu Recht massiv über die Menge an Unterbrechungen. Das kann kein Mensch mehr verstehen. Wir würden eine Masse dieser Unterbrechungen überhaupt nicht bekommen, wenn die Schiedsrichter auf dem Platz souveräner und sicherer entscheiden würden. Die Kompetenz stimmt nicht.“
Eine Korrektur der derzeitigen Strukturen und Probleme innerhalb kurzer Zeit hält der Ex-Schiedsrichter für ausgeschlossen. Zu viel sei „über Jahre durch Inkompetenz angerichtet worden“. Die derzeit zur Verfügung stehenden Unparteiischen werden schließlich „morgen keine Bessere.“
Und so wiederholt Merk einen Appell, der deutlich Resignation mitschwingen lässt. „Das Problem ist die bedingungslose Rückendeckung von oben nach dem Motto: ‚Pfeift so weiter, auch wenn Fehler drin sind, alles gut.‘ Wenn ich immer weiter so agieren darf und nicht in die Verantwortung genommen werde, leidet am Ende nur der Fußball darunter.“