Ausnahmezustand in Edinburgh! „Auf den Straßen sangen die Fans, Autos verlangsamten ihre Fahrt, die Fahrer hupten zur Zustimmung und die örtlichen Pubs waren brechend voll“, beschrieb die Edinburgh Evening News die Szenen in der schottischen Hauptstadt.
Der Grund für diese Ekstase war der 3:1-Heimsieg von Heart of Midlothian gegen den Serienmeister Celtic Glasgow am Sonntag. Während die Niederlage das Aus für Celtic-Trainer Brendan Rodgers bedeutete, setzt sich für die Hearts eine unfassbare Serie fort, die die Fans von lang vergessenen Zeiten träumen lässt.
In zehn Ligaspielen fuhren die Hearts acht Siege ein, auch wenn sie am Mittwoch bei St. Mirren nicht über ein 2:2 hinauskamen, stehen sie sechs Punkte vor Celtic und elf Punkte vor den Rangers an der Tabellenspitze. Zwar wurde bisher nur ein Bruchteil der 38 Saisonspiele ausgetragen, dennoch rückt der Traum von der ersten Meisterschaft seit der Saison 1959/1960 und der fünften in der Historie des Klubs allmählich näher.
Das gab es in Schottland seit 40 Jahren nicht
Besonders wäre das Kunststück der Hearts auch, weil es ein unfassbares Duopol auf die Meisterschaft durchbrechen würde.
40 Jahre ist es inzwischen her, dass die Meisterschaft in der Scottish Premiership nicht an Celtic oder die Glasgow Rangers ging. Um diese einseitige Dominanz zu durchbrechen, brauchte es damals den legendären Trainer Sir Alex Ferguson, der den FC Aberdeen zum Erfolg führte.
Karriere wiederbelebt! Schwolow stellt Rekord auf
Und auch aus deutscher Sicht gibt es bei den Hearts eine besondere Geschichte: Im Rennen um den historischen Meistertitel könnte der ehemalige Bundesliga-Torhüter Alexander Schwolow zum entscheidenden Rückhalt werden.
Der 33-Jährige rückte am fünften Spieltag leistungsbedingt für Zander Clark zwischen die Pfosten und stellte unmittelbar einen Vereinsrekord auf. Wie der Klub bei Instagram vermeldete, blieb Schwolow als erster Torhüter in der Geschichte der Hearts in seinen ersten vier Partien ohne Gegentor. Erst im Duell mit Celtic musste er sich das erste Mal geschlagen geben.
Doch der Torhüter wusste seinen Trainer Derek McInnes trotz seines ersten Gegentreffers zu überzeugen. „Alex hatte ein paar gute Paraden, aber genau das ist es, was Alex auszeichnet“, sagte McInnes den Edinburgh Evening News.
Der Trainer lobte: „Er arbeitet unauffällig, aber effektiv. In einigen Spielen musste er in entscheidenden Momenten zur Stelle sein – doch genau dafür ist er da. Man will, dass der Torhüter die Bälle hält, die man von ihm erwartet. Für uns ist es also keine Überraschung, dass er diese Paraden gezeigt hat, weil wir ihn Tag für Tag im Training sehen.“
Karriere-Knick bei Schalke 04
Angesichts der persönlichen Leistungen und des anhaltenden sportlichen Erfolgs genießt Schwolow einen Rückhalt, auf den er in der Bundesliga lange nicht zurückgreifen konnte.
Nachdem er von 2015 bis 2020 Stammtorhüter beim SC Freiburg war, zog es den Schlussmann weiter zu Hertha BSC und später zu Schalke 04, wo er mit 58 Gegentoren in 23 Spielen den Abstieg nicht verhindern konnte und häufig nicht die nötige Sicherheit ausstrahlte.
In den zwei folgenden Jahren bei Union Berlin kam Schwolow nur noch auf sieben Einsätze, ehe er sich im Sommer 2025 für den Schritt nach Edinburgh entschied – und dort sein Glück zu finden scheint.
Neuer Investor bringt Hearts auf neues Level
Doch Schwolow ist nur ein Puzzleteil des Erfolgs der Hearts. Auch der Name von Investor Tony Bloom spielt eine wichtige Rolle.
2014 und 2020 stiegen die Hearts noch zweimal ab, schafften aber jeweils den direkten Wiederaufstieg. Nach sportlichen und finanziellen Schwierigkeiten stabilisierte sich der Klub zwar in den vergangenen Jahren (dreimal in Folge Top 4, vergangene Saison Platz 7), war aber weit davon entfernt, die Giganten Celtic und Rangers zu überflügeln.
Das änderte sich, als in diesem Sommer der Mathematiker und frühere Poker-Profi Bloom einstieg und rund 11,5 Millionen Euro für 29 Prozent der Anteile des Klubs investierte, ohne dabei ein Stimmrecht und direkten Einfluss zu erwerben.
Aber für Bloom setzt sich bei den Hearts eine beachtliche Erfolgsgeschichte fort. Der Investor hält ebenfalls die Mehrheit der Anteile an Brighton & Hove Albion in der englischen Premier League und Royal Union Saint Gilloise aus der höchsten belgischen Spielklasse.
Nach dem Einstieg von Bloom schaffte Brighton erstmals in seiner Klub-Geschichte die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb. In Belgien feierte Saint Gilloise einen noch größeren Erfolg und gewann zum ersten Mal in 90 Jahren die Meisterschaft.
Investor und datenbasiertes Scouting: Der Weg zum Triumph?
Ein wichtiger Bestandteil des Pakets, das Bloom mitbringt, ist „Jamestown Analytics“, ein Ableger der Datenanalysefirma „Starlizard“, die das Poker-Genie mitgründete.
Bloom war eine der ersten Persönlichkeiten, die konsequentes Datenscouting im Profifußball etablierte. Auf diesem Weg wurde unter anderem Saint Gilloise auf Senkrechtstarter Deniz Undav aufmerksam, der vor seinem Wechsel nach Belgien noch beim SV Meppen spielte.
Inzwischen setzen immer mehr Klubs auf Datenscouting. So hofft der 1. FC Nürnberg mithilfe von „Jamestown Analytics“ in die Bundesliga zurückzukehren. Beim FC Schalke 04 soll das interne Transfer-Tool „Stats Libuda“ künftig Spieler mit Schalke-DNA identifizieren.
Auch bei den Hearts machen sich erste Erfolge des Einflusses von Bloom bereits bemerkbar: Elf Spieler verpflichtete der Klub in diesem Sommer und fand dabei Schlüsselspieler aus den verschiedensten Ländern dieser Welt.
Mit Schwolow kam der neue Stammtorhüter ablösefrei aus der Bundesliga. Ebenfalls ohne Ablöse wechselte der Grieche Alexandros Kyziridis von Michalovce aus der Slowakei in den Osten Schottlands – und erzielte fünf Tore sowie fünf Vorlagen in 13 Spielen. Auch Stürmer Cláudio Braga kam erst im Sommer aus Aalesund in Norwegen und verbuchte seither 14 Torbeteiligungen in 15 Einsätzen.
Träume von der Meisterschaft? Hearts bremsen Euphorie
Mit dem 2:2 gegen den Tabellenneunten St. Mirren setzte es für die Hearts einen kleinen Dämpfer, aber schon nach dem Sieg gegen Meisterschaftsfavorit Celtic wollte man in Edinburgh noch nichts von der historischen Meisterschaft wissen.
Trainer McInnes bremste schon da die Euphorie. „Wir nehmen die drei Punkte und ich denke, was das Selbstvertrauen betrifft, schadet uns der Sieg nicht. Für Außenstehende mag es vielleicht so wirken, aber ich möchte nicht von einem ‚Statement-Sieg‘ sprechen“, meinte er bei Sky Sports.
„Es gibt keinen Druck. Wir genießen es. So müssen wir weitermachen. Das ist alles“, erklärte auch Kyziridis und sagte: „Für uns ist es wichtig, von Spiel zu Spiel zu denken. Wir wollen nicht darauf schauen, was in der Zukunft passieren wird. Niemand weiß das. Wir müssen einfach demütig bleiben und unsere Arbeit machen. Das tun wir alle. Träumen kann man, wenn man schläft.“
In den schottischen Medien wird der Traum vom Ende der Glasgower Meisterdominanz und dem Wunder aus Edinburgh trotzdem am Leben gehalten.
„Es besteht kein Zweifel daran, dass ihr Team das nötige Kleingeld hat, um um den Premiership-Titel zu kämpfen“, schrieb beispielsweise die Edinburgh Evening News. Zwar könnten sich einige Teams „in den kommenden Wochen zweifellos verbessern, aber so wie es aussieht, ist niemand auf dem Niveau der Hearts.“