Es war der letzte Spieltag einer völlig verkorksten Zweitliga-Saison. Während die SV Elversberg noch um den Aufstieg kämpfte, verlor der FC Schalke 04 auch das letzte Heimspiel in der schlechtesten Saison der 121-jährigen Vereinsgeschichte mit 1:2.
Die eigenen Fans kehrten der Mannschaft mitten in der Partie den Rücken zu, ignorierten gefrustet das Geschehen auf dem Rasen und erfreuten sich der alleinigen Tatsache, dass der siebenmalige Deutsche Meister als Tabellenvierzehnter nicht den Gang in die 3. Liga antreten musste.
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CAPTION: Miron Muslic hat beim FC Schalke 04 viel bewegt
DESCRIPTION: Miron Muslic hat beim FC Schalke 04 viel bewegt
Während auf Schalke noch sieben Jahre zuvor Champions-League-Fußball gespielt wurde, lag der Verein am Boden und kämpfte im Angesicht einer sowohl sportlich als auch finanziell angespannten Situation um die Existenz.
Ganz anders sehen die Situation und Stimmung im Ruhrgebiet zehn Ligaspiele später in der neuen Saison aus. Dank Miron Muslic.
Trendwende nach zwei Jahren Existenzangst
Der vom neuen Sportvorstand Frank Baumann im Sommer verpflichtete Coach hat etwas verwandelt auf Schalke.
Durch seine Spielidee und seinen Umgang mit der Mannschaft hat er den Klub nahezu im Alleingang wieder zu einem Schalke gemacht hat, mit dem sich die Fans identifizieren können und das sie bedingungslos unterstützen.
Mit bisher nur fünf Gegentoren wurde die Schalker Abwehr zum Bollwerk der Liga. Durch acht Siege in zehn Spielen grüßt der Traditionsklub von der Tabellenspitze und genießt eine unerwartet positive Momentaufnahme.
Große Verwunderung über Muslic-Verpflichtung
Und das, obwohl die Verpflichtung des Trainers im Sommer noch von vielen Fans kritisch betrachtet wurde.
Die Verwunderung war groß, als der S04 – kurz nach den aufgekommenen Gerüchten um eine Verpflichtung des neuen Hannover-Trainers Christian Titz – das Engagement von Muslic bekannt gab.
Mit seinen bisherigen Engagements beim Floridsdorfer AC und dem SV Ried in Österreich sowie Cercle Brügge (Belgien) und Plymouth Argyle (England) war Muslic neu im deutschen Profifußball. Sein Name sagte hierzulande nur eingefleischten Kennern etwas.
Inzwischen ist Muslic jedoch längst in den Herzen der Schalker Fans angekommen – und auch Klublegenden wie Ex-Kapitän Benedikt Höwedes sind begeistert. Er habe das Gefühl, „dass sich da was entwickelt, dass da was zusammenwächst“, sagte der Weltmeister von 2014 SPORT1 vor kurzem.
Miron Muslic: Der Unbekannte aus Tirol
Muslic sieht sich langsam mit einem Hype um seine Person konfrontiert – den er allerdings gelassen registriert: „Ich war ruhig vor vier Monaten, als sich viele über meine Verpflichtung gewundert und gefragt haben, was dieser Unbekannte aus Tirol denn hier will – und ich bleibe ruhig, wenn ich spüre, dass die Menschen unsere Arbeit in nur vier Monaten sehr zu schätzen gelernt haben“, erklärte der gebürtige Bosnier im Gespräch mit dem kicker.
Als Schalke das erste Mal an den Trainer herangetreten sei, habe dieser schnell gemerkt: „Das ist wahrscheinlich noch mal eine komplett andere Welt.“ Wenige Monate später stellte Muslic nun fest: „Wenn man einmal mit diesem Verein in Berührung kommt, dann passiert etwas in einem.“
Dem 43-Jährigen war dabei „von Anfang an bewusst, welches Risiko andere sahen. Das hat den Reiz aus meiner Sicht aber nur noch erhöht.“
Wie Muslic S04 ein neues Gesicht verpasste
Sportlich hat Muslic der Mannschaft schnell ein neues Gesicht verpasst.
Abgesehen von der neu stabilisierten Defensive überzeugt Schalke in dieser Saison vor allem durch den Willen und das aggressive Pressing auf dem Platz. Immer wieder sieht man, wie mehrere Schalker einem Gegenspieler hinterherlaufen und sich in jeden Zweikampf werfen.
Symbolisch dafür war unter anderem eine Szene von Rechtsverteidiger Adrian Gantenbein, der beim Auswärtsspiel in Bielefeld aus dem Vollsprint zum Hechtsprung ansetzte und den Ball so noch vor der Linie klären konnte.
Doch die Fans feiern den neuen Schalker Trainer nicht nur aufgrund seines wie angekündigt „mutigen, aggressiven und intensiven“ Spielstils, sondern auch aufgrund seines Auftretens und seiner Ausstrahlung.
„Bin ein Mensch, der seine Emotionen nicht versteckt“
Egal ob er nach dem Spiel Arm in Arm mit seinen Spielern vor der Fankurve feiert, bei Auswechslungen Stirnküsse verteilt oder im Sky-Interview seinen favorisierten Fangesang anstimmt – Muslic ist sich seiner charismatischen Art durchaus bewusst.
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CAPTION: Miron Muslic feiert den Sieg gegen Darmstadt mit seinen Spielern
DESCRIPTION: Miron Muslic feiert den Sieg gegen Darmstadt mit seinen Spielern
„Auch die Außenwirkung ist wichtig, und da ich ein emotionaler Mensch bin, der seine Emotionen nicht versteckt, ist es wichtig, dass ich da einen guten selbstreflektierten Blick drauf habe. Ich habe keine Angst zu sein, wer ich bin – mit Gestik, Mimik und allem, was dazugehört“, erklärte Muslic, der sein Verhalten regelmäßig durch einen Experten analysieren lässt.
Vom Flüchtling zum Schalker Hoffnungsträger
Das Leben von Muslic und damit sein Weg zum Profitrainer war jedoch von großen Herausforderungen geprägt – beginnend mit seiner Kindheit, die von dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien überschattet wurde.
Im Alter von nur neun Jahren mussten er und seine Familie „über Nacht unser Zuhause in Bosnien verlassen. Ohne zu wissen, wann und ob wir überhaupt zurückkehren würden.“
Nach der Flucht ins rund 500 Kilometer entfernte Tirol hatte er es als Flüchtling zunächst schwer, sich in der neuen Heimat einzuleben. „Ich musste meinen Platz im Leben finden, in der Gesellschaft. Dabei hat mir der Fußball extrem geholfen“, offenbarte Muslic.
Als Profi absolvierte der ehemalige Mittelstürmer vier Spiele in der österreichischen Bundesliga und 57 Partien in der zweiten Liga des Landes. Und auch als Trainer musste sich Muslic zunächst hocharbeiten.
Bei Plymouth Argyle hatte Muslic erst Anfang dieses Jahres das Amt von Wayne Rooney, einem „Weltstar mit Legendenstatus“, übernommen und den Klub nach vier Monaten ohne Sieg beinahe zum Klassenerhalt geführt.
Der größte Erfolg war dabei ein Sieg gegen den FC Liverpool im FA-Cup, der zum damaligen Zeitpunkt unter Trainer Arne Slot erst ein Spiel verloren hatte.
„Einmal Schalke, immer Schalke!“
Um Muslic im Sommer zu verpflichten, überwiesen die Knappen rund 700.000 Euro nach England. Eine beachtliche Summe hinsichtlich der finanziellen Situation des Vereins.
Inzwischen sind der FC Schalke 04 und Miron Muslic längst zusammengewachsen und die Sorgen der vergangenen zwei Saisons weit in den Hintergrund gerückt.
So verkündete Muslic, der inzwischen selbst Vereinsmitglied ist: „Ich bleibe für immer Mitglied von Schalke 04, zu 100 Prozent. Egal, wie sich die Wege mal trennen werden. Schalke 04 ist ein Teil von mir, es hat einen ganz festen Platz in meinem Herzen. Einmal Schalke, immer Schalke.“
Nach fünf Siegen in Folge warnte Muslic allerdings auch: „Ich habe mich emotional unter Kontrolle und werde mich auch in den Phasen nicht verlieren, in denen es sportlich vielleicht einmal nicht so läuft. Das sehe ich als eine meiner Stärken.“
Heute hat der Verein die Chance, den nächsten kleinen Schritt unter Muslic zu gehen. Im zweiten Duell innerhalb weniger Tage beim SV Darmstadt 98 könnte der S04 ins Achtelfinale des DFB-Pokals einziehen – mit Muslic an der Seite ist Schalke auch dort alles zuzutrauen.