Vor sechs Jahren noch in der achten englischen Spielklasse unterwegs – jetzt von Thomas Tuchel zum ersten Mal für die englische Nationalmannschaft nominiert: Der 22 Jahre alte Alex Scott ist wohl die größte Überraschung im Kader der Three Lions für die anstehenden Länderspiele im Rahmen der WM-Qualifikation.

„Ich bin im siebten Himmel“, schwärmte der Bournemouth-Profi auf einer Pressekonferenz am Dienstag. „Vor sechs Jahren habe ich im Amateurfußball für Guernsey gespielt und ich war mir nicht sicher, ob ich es als Fußballspieler schaffen würde.“

Alex Scott sielte bei der U21-EM mit einem kuriosen Kieferschutz für England
Alex Scott sielte bei der U21-EM mit einem kuriosen Kieferschutz für EnglandAlex Scott sielte bei der U21-EM mit einem kuriosen Kieferschutz für England

Erstes Geschwisterduo bei den Three Lions?

Scott wurde auf der zweitgrößten britischen Kanalinsel Guernsey geboren. Das Eiland brachte zuvor immerhin schon zwei englische Nationalspieler hervor: Southampton-Legende Matt Le Tissier und Graeme Le Saux, der unter anderem beim FC Chelsea spielte.

Außerdem könnte der Mittelfeldspieler dem Beispiel seiner Stiefschwester Maya Le Tissier folgen, die ebenfalls von Guernsey kommt, aber nicht verwandt ist mit Matt Le Tissier. Die 23-Jährige spielt bereits für Englands Frauen-Nationalteam. Damit wären die beiden laut BBC das erste Stiefgeschwister-Duo, das für die Herren- und Frauenmannschaft der Three Lions gespielt hat.

Scott musste mit dem Flugzeug zum Training fliegen

Scotts fußballerischer Weg startete früh auf hohem Niveau. Ab seinem achten Lebensjahr verbrachte der Mittelfeldspieler viereinhalb Jahre in der Akademie von Southampton. Dabei musste er jeden Freitag nach der Schule von Guernsey an die Südküste Englands fliegen, um am Trainingsbetrieb der Saints teilnehmen zu können.

Wie Scott der BBC erzählte, war er damals jedoch „nicht mit dem Herzen dabei. Ich habe nicht sehr gut gespielt und es wurde mir ein bisschen zu viel, jede Woche rüberzufliegen. Ich wollte einfach nur am Wochenende zu Hause mit meinen Freunden chillen, weil mir fast viereinhalb Jahre davon gefehlt haben.“

Scott entschied sich für „ein kleines Stück Kindheit“

Deswegen entschied sich Scott gegen die Akademie und spielte stattdessen wieder in der Heimat – rückblickend ein wichtiger Schritt für seine Entwicklung.

„Dieses kleine Stück Kindheit zurückzubekommen, war etwas, das ich definitiv brauchte. Es war großartig für mich, etwas Selbstvertrauen zu gewinnen, indem ich zurückkam und lokalen Fußball spielte. Es war wahrscheinlich eines der wichtigsten Dinge, die mich dorthin gebracht haben, wo ich heute bin“, führte der heutige Premier-League-Star aus.

Auf Amateurebene stach Scott früh heraus: Mit 16 Jahren wurde er zum jüngsten Spieler in der Geschichte des FC Guernsey, als er sein Debüt in der Isthmian League Division, der achten nationalen Spielklasse, gab.

Nach einem beeindruckenden Start in der Amateurliga ließ Scotts Sprung in den Profifußball nicht lange auf sich warten. Bristol Citys Besitzer Steve Lansdown, ansässig auf Guernsey, verfolgte seine Entwicklung genau und ermöglichte ihm Ende 2019 ein Probetraining.

Guardiola schwärmte: „Unglaublicher Spieler“

Keine 18 Monate später stand der Youngster zum ersten Mal für Bristols erste Mannschaft in der Championship auf dem Platz. In der zweiten Liga Englands stieg er schnell zum Leistungsträger auf und glänzte bereits in jungen Jahren durch seine Vielseitigkeit.

Wegen seines ähnlichen Spielstils und der bis zu den Knöcheln heruntergekrempelten Socken wurde Scott dort „Guernsey Grealish“ getauft.

Nach einer 0:3-Niederlage im FA-Cup gegen Manchester City 2023 gab es sogar ein Sonderlob von Star-Trainer Pep Guardiola. „Er ist ein unglaublicher Spieler, einfach unglaublich“, schwärmte der Coach der Skyblues damals.

Die Saison 2022/23 beendete das Mittelfeld-Talent als „Bester junger Spieler der Saison“ der EFL Championship – noch vor dem damals an AFC Sunderland ausgeliehenen Amad Diallo. Außerdem landete er in der Mannschaft des Jahres der Championship und wurde zum Spieler und Nachwuchsspieler des Jahres von Bristol City gekürt.

Alex Scott wurde für die anstehenden den Länderspiele zum ersten Mal in den englischen Kader berufen
Alex Scott wurde für die anstehenden den Länderspiele zum ersten Mal in den englischen Kader berufen Alex Scott wurde für die anstehenden den Länderspiele zum ersten Mal in den englischen Kader berufen

Knieverletzungen, Kieferbruch und „ziemlich schreckliches Jahr“

Im Sommer darauf folgte dann der Wechsel in die Premier League zu Bournemouth für stolze 23 Millionen Euro. Der Start bei den Cherries verlief für den Youngster jedoch holprig. Nach einer Knieverletzung in der Vorbereitung musste er bis Oktober auf sein Premier-League-Debüt warten.

Nachdem er in seiner ersten Saison nach der Auszeit immer wieder Spielzeit sammeln konnte, setzte ihn im zweiten Jahr erneut eine Knieverletzung außer Gefecht, diesmal knapp vier Monate lang.

Auch in der Saison 2024/25 blieb Scott nicht von seinem Verletzungspech verschont – im Duell mit Aston Villa zog sich der Sechser nach einem Ellenbogenschlag von Tyrone Mings einen Kieferbruch zu. Nach der schweren Verletzung sprach er von einem „ziemlich schrecklichen Jahr“ 2025.

Scott spielt bei U21-EM mit besonderem Schutz

Die zweite Jahreshälfte sollte jedoch deutlich erfreulicher für den Bournemouth-Star werden. Bei der U21-EM im Sommer fiel Scott nicht nur wegen seines auffälligen Kinnschutzes auf, den er wegen seines zuvor gebrochenen Kiefers trug.

Bis auf das zweite Gruppenspiel gegen Slowenien (0:0) stand er in jedem Spiel in der Startelf und war durch starke Leistungen maßgeblich am EM-Titel der Three Lions beteiligt.

Tuchel plant mit Scott auf ungewohnter Position

Die laufende Ligasaison begann für den 22-Jährigen ebenso erfreulich. Scott erarbeitete sich das Vertrauen von Trainer Andoni Iraola, kam in jedem möglichen Spiel für Bournemouth zum Einsatz und stand dabei nur einmal nicht in der Startelf.

Von der englischen Presse als „große Überraschung“ betitelt, verdiente sich Scott mit starken Auftritten seine erste Nominierung für die englische A-Nationalmannschaft.

Besonders die Vielseitigkeit des defensiven Mittelfeldspielers dürfte Tuchel zugesagt haben. „Alex verdient es, bei uns zu sein, er wird als Achter spielen“, erklärte der ehemalige Bayern-Coach die Nominierung und seine Pläne mit Scott.

„Ich möchte die Woche genießen und wenn ich Chance bekomme, zu spielen, kann ich hoffentlich einen Eindruck hinterlassen“, sagte Scott, der keinen Hehl daraus machte, dass er auf die WM hofft. „Das ist der Traum von jedem, insbesondere der Spieler, die hier sind. Ich möchte den Trainern einfach zeigen, was ich kann. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, hier zu sein.“

Der 22-Jährige dürfte es durch die große Auswahl an talentierten Spielern im englischen Mittelfeld schwer haben, sich bis zur Weltmeisterschaft im kommenden Sommer bei den Three Lions zu etablieren.

In den anstehenden Länderspielen gegen Serbien (heute um 20.45 Uhr im LIVETICKER) und Albanien (Sonntag, 18 Uhr im LIVETICKER) könnte Scott sein Debüt feiern – und seinem bemerkenswerten Werdegang ein weiteres Highlight hinzufügen.