Das Großereignis, auf das viele Wintersportler seit Monaten oder gar Jahren ihr Training ausrichten, rückt immer näher: die Olympischen Spiele in Italien. Auch im Biathlon bestimmen die Wettkämpfe im Februar seit Längerem die Gedanken rund um die ideale Vorbereitung.
Da diese in der Biathlon-Hochburg Antholz rund 1.600 Meter über dem Meeresspiegel stattfinden, ist das bekannte Höhentraining eine beliebte Trainingsmethode vorab. Doch es gibt einen neuen Trend im Biathlon. Einen, der nicht völlig ungefährlich ist – das sogenannte Hitzetraining.
Neuer Biathlon-Trend vor den Olympischen Spielen
Dieses wird in anderen Ausdauersportarten wie im Triathlon oder Radsport bereits länger praktiziert. Dabei stecken die Athleten beispielsweise ihre Füße in Plastiktüten, ehe sie in ihre Schuhe schlüpfen, um sich auf ein Ergometer zu setzen. Zusätzlich tragen sie eine Lage Regenkleidung und eine weitere Lage Winterkleidung aus Daunenjacke und Daunenhose.
Das Ziel all dieser Maßnahmen ist, eine Körpertemperatur von 38 oder 39 Grad zu erreichen, quasi Fieber zu simulieren. „Grob ist der Sinn vom Hitzetraining, ein vereinfachtes Höhentraining zu haben. Ziel ist es, die Masse des Hämoglobins zu steigern“, erklärt der Staffel-Olympiasieger von 2006 und heutige Eurosport-Experte Michael Rösch im exklusiven Gespräch mit SPORT1.
Rösch erklärt: Diesen Effekt hat das umstrittene Training
Eine gesteigerte Hämoglobinmenge führt zu einer Verbesserung der Sauerstofftransportkapazität des Körpers, was der Ausdauer zuträglich ist. Dies wurde bisher vor allem durch Höhentraining erreicht, da der Körper als Reaktion auf den Sauerstoffmangel mehr rote Blutkörperchen produziert.
„Beim Hitzetraining gibt es zwei Ziele. Ziel A ist, nach dem Höhentraining die Hämoglobinmasse länger im Körper zu behalten, weil der Effekt des Trainings vier oder fünf Wochen nach dem Höhentraining weg ist“, erklärt Rösch: „Ziel B kann sein, dass das Heat-Training eine billige Variante des Höhentrainings ist. Man kann dieses Hitzetraining überall machen.“
In der Theorie eine einfache Methode, in der Praxis aber komplex, da eine falsche Durchführung gefährlich sein kann. Der Körper verliert sehr viel Flüssigkeit und Hochleistungstraining bei bis zu 39 Grad Körpertemperatur ist extrem anspruchsvoll.
„Die Methode ist ein wenig umstritten, weil man eben sehr aufpassen muss“, weist auch Rösch auf die Risiken hin: „Bei so einem komplexen Training sollte man sich nicht blind aufs Fahrrad setzen. Da ist es schon ratsam, wenn ein Wissenschaftler oder Arzt dabei ist.“
Biathlon-Star: „Nicht scharf darauf, Verrücktes auszuprobieren“
Das wissen auch die Biathlon-Stars, weshalb das Hitzetraining noch nicht überall Anklang findet. Während Norwegen und Schweden davon öfter Gebrauch machen, sind andere Nationen skeptisch.
Von SPORT1 auf das Hitzetraining angesprochen, reagierte US-Shootingstar Campbell Wright beim Loop One Festival in München deutlich: „Auf gar keinen Fall. Ich bin nicht scharf darauf, irgendetwas Verrücktes zu probieren. In Norwegen können sie das versuchen, weil sie 20 gute Athleten haben. Aber wenn ich schlechter daraus hervorgehe, ist das nur traurig für mich.“
Das sehen die Schweden anders. „Wir sind da eine gewisse Vorreiternation. Wir haben das schon vor eineinhalb Jahren das erste Mal implementiert“, verriet Cheftrainer Johannes Lukas im SPORT1-Interview: „Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht und sind den Weg jetzt weiter gegangen.“
Aber auch in Schweden sorgte das Training für Diskussionen, weil Topstar Ella Halvarsson damit zitiert wurde, dass sie dabei anfangs fast ohnmächtig geworden sei. Lukas und Halvarsson betonen auf SPORT1-Nachfrage zwar, dass diese Aussage aus dem Kontext gerissen wurde, trotzdem sei es laut Lukas „kein angenehmes Training“, welches aber „mit interessanten Ergebnissen verbunden ist“.
Ohne Risiko ist das nicht. „Es ist schon grenzwertig. Wenn man es übertreibt, kann das auch den komplett falschen Effekt haben“, warnt auch Rösch: „Ich halte es für riskant, wenn man sich da auf eigene Faust ausprobiert.“ Dies sei im Hochleistungssport aber selten der Fall.
Brauche Hitzetraining, „um zu meiner besten Version zu werden“
Athleten, die es testeten, hätten von vielen positiven Effekten erzählt, berichtet Rösch. So sagte ihm der Norweger Johan-Olav Botn: „Ich nutze das Hitzetraining schon seit drei Saisons. Auch dank der Hilfe der Leute im Labor in Lillehammer konnte ich extrem davon profitieren und meinen Hämoglobin-Wert stetig steigern.“ Speziell anfangs seien die Effekte bei ihm enorm gewesen.
Positiv äußert sich auch Botns Teamkollege Isak Frey auf SPORT1-Nachfrage: „Natürlich ist es riskant. Nur es ist etwas, das ich ausprobieren muss, um zu meiner besten Version zu werden. Vielleicht bringt mich das zu Olympia, wer weiß.“
So gut die Methode kurzfristig wirkt, so groß kann aber auch der Rückschritt bei Erkrankungen sein, verriet Botn: „Ich hatte meinen Wert dauerhaft gesteigert, doch dann habe ich Corona bekommen und der Hämoglobin-Wert fiel um 100 g und war dann einfach niedriger als der Anfangswert. Die Methode ist also noch fragil. Ich glaube aber trotzdem, dass sie mir helfen wird.“
Hart sei es dennoch: „Man erzeugt quasi in 50 Minuten künstlich ein Fieber. Das Training ist speziell mental sehr hart, weil man sich teilweise fünfmal pro Woche immer wieder zu diesem so auslaugenden Training motivieren muss. Zudem wissen wir noch nicht, wie sich das Hitzetraining auf unsere Physis und speziell auch auf das Schießen auswirkt.“
DSV-Star steht Hitzetraining noch „kritisch gegenüber“
Botn und der norwegische Verband glauben trotz der Risiken fest an die Methode, beim deutschen Team setzt man lieber weiter auf das klassische Höhentraining. „Ich stehe dem Ganzen ein bisschen kritisch gegenüber. Ich brauche das erstmal nicht“, stellt Danilo Riethmüller im Rahmen der DSV-Einkleidung auf SPORT1-Nachfrage klar.
Auch Damen-Bundestrainer Kristian Mehringer hält das Hitzetraining zum aktuellen Zeitpunkt für zu riskant: „Vor Olympia so etwas auszuprobieren, ist gefährlich und kann nach hinten losgehen. Wir haben es im Blick. Es kann sein, dass es in den nächsten Jahren auch bei uns in die Richtung gehen könnte.“
Dass das DSV-Team in der so wichtigen Olympia-Saison keine Experimente eingehen will, versteht Rösch: „Wir haben immer gesagt: Ein Jahr vor Olympia keine Experimente. Also wenn man was probiert, sollte man schon drei bis maximal zwei Jahre vorher anfangen.“
„Frage mich: Warum machen wir das in Deutschland nicht?“
Zumindest eine andere Trainingsmethode hätte das deutsche Team in der Vorbereitung auf Olympia aber haben können. Nämlich ein gesteigertes Höhentraining mit einer daraus resultierenden Hämoglobinmassenbestimmung.
„Der deutsche Teamarzt hat schon vor zwei Jahren versucht, diese Trainingsmethode zu forcieren“, berichtet Rösch: „Er hat mir gesagt: Das Interesse allgemein war sehr gering. Wo ich mich gefragt habe: Warum?“
Schon diese Methode hätte die Leistung steigern können. Noch extremer ist die mögliche Leistungssteigerung durch das Heat-Training.
Durch wissenschaftliche Studien sei bewiesen, dass es eine Leistungssteigerung von drei bis vier Prozent durch die Trainingsmethode geben könnte: „Das ist unfassbar viel. Und da frage ich mich: Warum machen wir das in Deutschland nicht so exzessiv wie andere Nationen?“
Ob er selbst die Heat-Methode als Aktiver getestet hätte? „Definitiv!“, wird Rösch deutlich: „Drei Prozent im Hochleistungssport sind unfassbar viel. Da hätte ich sofort gesagt: Das probiere ich aus.“
Diese Risikobereitschaft, neue Methoden auszuprobieren, fehle ihm beim deutschen Team ein bisschen. Zumindest etwas veränderte das deutsche Männerteam und absolvierte in diesem Jahr zur Vorbereitung eine Höhenkette (mehrere Höhentrainingslager in Folge zur Steigerung und längeren Aufrechterhaltung des gesteigerten Hämoglobinwertes) im Training.
Preuß beweist: Erfolg auch ohne Höhentraining möglich
Ein nicht zu vernachlässigender Punkt in dieser Debatte sei zusätzlich auch, dass jede Athletin und jeder Athlet sich anders vorbereitet. So verspüre ein Philipp Horn durch Höhentrainingslager immer einen „besonderen Boost“, weiß Rösch.
Er betont aber auch: „Nicht bei allen Athleten ist der Effekt gleich und es gibt auch Athleten, die das Höhentraining nicht so schätzen.“ Bestes Beispiel sei Franziska Preuß, die nicht der allergrößte Fan der Höhe sei und „trotzdem den Gesamtweltcup gewonnen hat“.
Franziska Preuß geht als Titelverteidigerin in die kommende Biathlon-Saison. Die Gesamtweltcupsiegerin spricht wenige Wochen vor dem ersten Weltcup über ihre Handverletzung, die Ziele für die Olympia-Saison und ein mögliches Karriereende.
Ob das Hitzetraining also nur viel Rauch um nichts oder tatsächlich ein Schlüssel zum Erfolg ist, den das deutsche Team unterschätzt, wird Olympia zeigen.